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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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Schäfer …«
    »Und den Wolfsgeist«, sagte das Lamm, das sich jetzt wieder gut an die schaurige Nachtstunde am Dolm erinnerte.
    »Und den Wolfsgeist«, bestätigte Melmoth. »Den Wolfsgeist, beharrlicher kleiner Geisterseher, gibt es auch.«
    Und wie zur Bestätigung spreizte die Krähe auf seinem Rücken ihre schwarzen Flügel in die Abendsonne.
    Melmoth aber drehte sich um und lief an Maude vorbei, die ihm nachwitterte. Er lief an Cordelia vorbei und an Maple, an Zora und an Sir Ritchfield, der ein verschwörerisches Gesicht machte. Dann verschwand Melmoth in der Ginsterhecke, und einen Moment später kam es den Schafen vor, als hätten sie von dem seltsamen grauen Widder nur geträumt.
    Doch Ritchfield blinzelte vergnügt. »Er wandert nur ein bisschen herum«, sagte er. »Er hat die Nächte schon immer geliebt. ›Zu schade zum Schlafen‹, hat er immer gesagt. Er kommt zurück. Kein Schaf darf die Herde verlassen – außer, es kommt zurück«, fügte er vorsichtshalber hinzu.
     
    *
    Nachdem Melmoth verschwunden war, kam den Schafen die Weide seltsam leer vor, unheimlich wie glattes, tiefes Meer. Sie drängten sich alle auf dem Hügel zusammen und lauschten zuerst der Stille und später Miss Maple. Miss Maple ermittelte.
    »Jetzt wissen wir, warum George die Herde verlassen hat«, sagte sie. »In der Nacht, von der Melmoth erzählt hat, hat er herausgefunden, dass es die falsche Herde war. Seine Herde hatte McCarthy gerissen. Stellt euch vor, ihr lebt in einer Herde, und eines Tages entdeckt ihr, dass die anderen gar keine Schafe sind – sondern Wölfe.«
    Die Schafe starrten Maple entsetzt an. So einen schrecklichen Gedanken hätten sie freiwillig nicht einmal im Traum gedacht. Nur das Winterlamm meckerte spöttisch.
    »Aber es war ein Geheimnis«, fuhr Miss Maple fort. »Wölfe, die man nicht einfach so auswittern konnte – Wölfe im Schafspelz. Und das durfte nicht herauskommen. Ich glaube, das ist für die Menschen Gerechtigkeit: wenn etwas herauskommt.«
    »Woraus?«, fragte Othello, den die Sache interessierte.
    Miss Maple dachte angestrengt nach. »Ich weiß nicht, woraus«, gab sie schließlich zu. »Wenn wir wüssten, woraus, könnten wir ja versuchen, es einfach herauszulassen.«
    »Gerechtigkeit!«, blökte Mopple, dem der Gedanke gefiel, einfach etwas irgendwo herauszulassen. Zumindest klang es ungefährlich: Ein kleiner Tritt gegen die richtige Pforte oder Lanes geschickte Schnauze, und die ganze Mordgeschichte wäre endlich vorbei. Doch dann überlegte er, warum man die Gerechtigkeit wohl eingesperrt hatte. War sie gefährlich? Nur für Menschen, oder auch für Schafe? Mopple hielt den Mund und machte ein sehr schafshaftes Gesicht. Er beschloss, sich zukünftig bei solchen Versammlungen auf das Schweigen und Wiederkäuen zu verlegen.
    »Es ist interessant, wenn man sich überlegt, wer in Melmoths Geschichte Angst hat – und warum«, sagte Miss Maple nach einer kleinen Weile. »George und der Metzger hatten zuerst Angst vor der Leiche. Das kennen wir. Die Leiche verrät, dass der Tod in der Nähe ist – und jeder fürchtet den Tod.«
    Zögerndes, zustimmendes Blöken. Das Gesprächsthema war den Schafen entschieden zu morbid. Aber Miss Maple fuhr unerbittlich fort.
    »Doch dann«, sagte sie, »haben George und der Metzger noch viel mehr Angst bekommen, sobald sie wussten, dass die Mörder wussten, dass sie wussten.«
    Die Schafe sahen sich an. Wer wusste was? Miss Maple nutzte die allgemeine Verwirrung, um eine fette, goldene Butterblume zu rupfen und gewissenhaft zu zerkauen. Dann fuhr sie fort.
    »Warum? Weil die Mörder auch Angst haben – Angst davor, dass es herauskommt. Das macht sie gefährlich – wie Hunde. Hunde, die sich fürchten, sind doppelt so gefährlich. Hunde, die Angst haben, beißen.«
    Plötzlich schien ihr ein neuer Gedanke zu kommen. Sie blickte zu Mopple herüber, der sich noch immer auf das Wiederkäuen konzentrierte.
    »Mopple, was solltest du dir merken?«
    »Alles«, sagte Mopple stolz.
    Maple seufzte. »Und was noch?«
    Mopple dachte einen winzigen Augenblick lang nach.
    »Koboldkönig«, sagte er dann.
    Miss Maple nickte. »Jetzt wissen wir, warum die Kinder Angst vor George hatten – obwohl er niemandem etwas getan hat. Sie haben die Angst von den Alten gelernt – wie Lämmer. Für die Alten war George eine Gefahr, weil er das Geheimnis kannte.«
    Die Schafe schwiegen beeindruckt. Miss Maple war wirklich das klügste Schaf von ganz Glennkill.
    »Aber

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