Glenraven
aussah, setzte sich auf die Hinterbeine und beobachtete die Gruppe. Jay hätte gern die Namen all dieser wunderbaren Dinge erfahren, aber nachdem Lestovru so unwirsch auf ihre ersten Fragen reagiert hatte, verzichtete sie auf weitere.
Statt dessen legte ihr Führer - ganz darauf fixiert, voranzukommen - ein schnelleres Tempo vor. Die Straße stieg langsam an.
Jay hatte keine Lust mehr zu reden. Sie war zwar in hervorragender Form, aber die dünne Höhenluft, die hohe Geschwindigkeit und die erforderliche ständige Konzentration auf die Straße, um irgendwelchen Schlaglöchern auszuweichen, ließen ihr keinen Atem mehr für eine Unterhaltung.
Als die Straße enger wurde, mußten sie hintereinander fahren. Sie hielten die unangenehm hohe Geschwindigkeit ungefähr eine Stunde durch, dann ließ Lestovru sie anhalten. Er stellte einen Fuß auf den Boden und zeigte nach vorne. »Wir kommen jetzt an das steilste Stück. Vielleicht wollen Sie Ihre Fahrräder lieber schieben?«
Das steilste Stück, dachte Jay. Was glaubt der eigentlich, was wir bis jetzt gemacht haben? »Wir fahren«, entschied sie. »Wir schaffen das schon.« Der Gedanke, diesem Kerl gegenüber eine Schwäche zu zeigen, war ihr zuwider. Sie wollte nicht, daß er sie mit Schwäche in Zusammenhang brachte. Der Blick, mit dem er das kleine Vermögen angeschaut hatte, das sie in ihrem Geldgürtel trug, war Grund genug, sich unbehaglich zu fühlen.
Der Ausdruck, mit dem er sie ansah, sagte so deutlich wie ein gesprochenes Wort: Ich glaube nicht, daß ihr das schafft. Er nickte. »Wie Sie wollen.«
Jay betrachtete den Weg vor ihr genauer. Das Tal endete in einer Sackgasse, wo die beiden Berge sich berührten. Die Straße führte rauf und runter, rauf und runter… rauf und runter. Sie sah aus wie eine Schlange, die unter Magenkrämpfen litt. Jay versuchte sich wieder aufzubauen. Sie redete sich ein, daß ihre täglichen Fahrradtouren und Kraftübungen ein ausreichendes Training für diese Achterbahn gewesen waren. Ich schaffe es, dachte sie.
Sophie wirkte weniger selbstbewußt. »Wir brauchen eine Rast«, wandte sie sich an Lestovru.
Jay blickte zu ihrer Freundin. Sie schnaufte nicht mehr als Jay, auch schien sie nicht besonders müde. Na ja, eigentlich sah Sophie immer ein bißchen müde aus. Jay stieg ab, schob ihr Rad zu Sophie, und sie setzten sich nebeneinander auf den Boden.
»Stimmt was nicht?« fragte Jay.
Müdigkeit war nicht das Problem. »Wir brauchen einen Plan, falls er uns mit einer Waffe bedroht«, sagte sie.
»Wir stürzen uns beide gleichzeitig auf ihn. Wenn wir Glück haben, dann hat er nur Gelegenheit, eine von uns zu töten, bevor die andere ihn entwaffnet.« Jay grinste bei diesen Worten, und merkwürdigerweise lächelte Sophie zurück.
Eine Frage blieb unausgesprochen: Sollten sie umkehren? Irgendwie fühlte sich die ganze Situation falsch an. Vielleicht sollten sie zurückfahren und sich einen neuen Führer nach Glenraven suchen - oder den Rest ihres Urlaubes in Italien verbringen… oder nach Hause fahren. Wenn eine von ihnen einen Rückzieher machte, dann mußte die andere folgen - auch das war eine einfache Tatsache.
Die Frage blieb unausgesprochen. Sophie sagte: »Ich nehme an, wir müssen das Risiko auf uns nehmen. Falls er uns umbringt, dann werden die Namen der unerschrockenen Entdecker Sophie Ann Cortiss und Julie Jean Bennington Pfiester Tremont Smith in die Geschichte eingehen. Hab’ ich nicht recht?« Sie blickte Jay von der Seite an, und ein ironisches Lächeln spielte auf ihrem Gesicht.
Die Erwähnung ihres vollen Namens traf Jay wie ein Schlag in die Magengrube. Sie lachte, doch das Lachen wirkte angestrengt. Sophies veränderter Gesichtsausdruck zeigte deutlich, daß sie Jays Reaktion bemerkt hatte.
Die beiden Frauen nahmen ihre Fahrräder und signalisierten dem Führer, daß sie bereit waren. Er nickte und fuhr voraus.
Sie kämpften sich eine extreme Steigung hinauf und ruhten sich bei der Abfahrt aus, bevor es anschließend wieder bergauf ging. Jay spürte, wie ihr der Schweiß über das Gesicht lief, obwohl es ziemlich kalt war. Beim dritten Mal hätte sie doch eigentlich Glück haben müssen, dachte sie. Steven hätte der Mann fürs Leben sein sollen, der mich die anderen vergessen lassen könnte. Er hätte der Mann sein sollen, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen würde. Aber er war es nicht. Soviel ist mir mittlerweile klargeworden. Warum also denke ich so darüber? Sie spürte ein Stechen in
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