Glenraven
Angst geworden.
»Aber ich möchte, daß du lebend zurückkehrst«, hatte Sophie erklärt. »Du bist noch nicht bereit zu sterben.«
Auf beiden Seiten der Straße erstreckten sich mit Wildblumen übersäte Getreidefelder. Bienen summten fröhlich umher. Die Sonne schien Verstecken zu spielen - mal tauchte sie zwischen den vorbeiziehenden Wolken auf, dann war sie wieder verschwunden. Als die beiden Frauen in einen Wald ritten, veränderte sich die Luft ringsum. Sie bewegten sich durch einen dunkelgrünen Tunnel, der aus den überhängenden Ästen der Bäume entstanden war. Die Sonne war jetzt nicht mehr zu sehen. Sie verlor ihre Kraft und übergab die Herrschaft über den Tag an ein merkwürdiges Zwielicht. Jay und Sophie fühlten sich beobachtet. Irgend etwas lauerte im Verborgenen - aber was ?
»Jay?«
Jay erschauerte, als Sophies Stimme die unheimliche Stille durchbrach. »Was?«
»Sie sind hinter uns her.«
Jay sagte eine Weile überhaupt nichts. Ihr war klar, wovon Sophie sprach. »Ich weiß«, erwiderte sie schließlich. »Ich weiß. Aber ich weiß nicht, woher ich es weiß. Warum glaubst du, haben wir Amos getroffen? Warum ist unser Führer verschwunden? Was wollen sie von uns? Hast du eine Theorie?«
Sophie schüttelte den Kopf und blickte die Straße entlang. »Nein. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl, was die Route betrifft, die wir gewählt haben. Hier werden sie als erstes suchen, weil es der kürzeste Weg zum Tor ist. Ich fühle es. Mein Herz rast wie verrückt, meine Kehle ist ausgetrocknet, und ich spüre ein merkwürdiges Jucken zwischen meinen Schultern, daß mir angst und bange wird.«
Jayjay nickte. »Ich bin auch nervös.« Nur noch vereinzelt kamen ihnen Menschen entgegen. Der Schatten der mächtigen Bäume war so tief, daß die beiden Frauen den weiteren Verlauf der Straße nicht mehr erkennen konnten. Der undurchdringliche Wald verschluckte jedes Geräusch. Jay haßte die Gegend. Sie und Sophie schienen allein auf der Welt zu sein.
»Vielleicht sollten wir zuerst die Straße nach Inzo nehmen und von dort aus zum Tor weiterreiten«, schlug Sophie vor. »Dann müßten wir nicht durch diesen verdammten Wald.«
»Das hier ist immerhin eine Straße«, erwiderte Jay, der nichts Besseres einfiel. »Sie ist zwar dreckig und in keinem sonderlich guten Zustand; aber es ist der kürzeste Weg hier raus. Und das wollen wir doch, oder nicht?« Der Wald verschlang ihre Worte. Jay hatte den Eindruck, als habe sie nur geflüstert.
Sophie antwortete nicht, und Jay wußte nicht, was sie noch sagen sollte. Eine Weile ritten sie schweigend weiter. Die Finsternis wurde immer bedrückender. Jay dachte noch immer über Sophies Vorahnung nach, als sie plötzlich ein schwaches Geräusch vernahm und ihr Pferd zügelte. »Sophie, hör mal!«
Sophie hielt ebenfalls an, und die beiden Frauen lauschten angestrengt. Sophie erstarrte. Sie wendete ihr Pferd in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und richtete sich im Sattel auf. »Dort hinten… Pferde, Jay! Eine ganze Menge… und sie kommen rasch näher.«
»Jetzt schon?«
»Jetzt schon. Ich hatte gehofft, unser Vorsprung wäre größer.«
Jayjay betrachtete den Wald ringsum. Auf der harten Straße waren die Spuren der Pferde kaum zu erkennen. Eine größere Gruppe Reiter würde auch noch den letzten Rest verwischen, wenn sie nur schnell genug vorbeiritten, um die frischesten Spuren zu übersehen. Falls man sie entdeckte, würden Jay und Sophie ihren Verfolgern wenigstens eine Jagd liefern, die den Namen wert war.
»In den Wald«, sagte Jay. »Wir warten, bis sie vorbei sind, und entscheiden dann, was wir als nächstes unternehmen.«
Sophie nickte.
Die riesigen Bäume standen weit auseinander. Es gab kaum Unterholz. Der Wald wirkte beinahe wie ein Park. Vlad Dracul, der Pfähler, hätte sich hier heimisch gefühlt, dachte Jay. Nirgendwo schien es eine Versteckmöglichkeit zu geben. »Wir werden sehr tief hineinreiten müssen«, erklärte Jayjay. Die Frauen wandten sich den Bäumen zu.
Auf dem weichen Waldboden war selbst das leise Klopp-Klopp der Pferde nicht mehr zu hören. Das Schnaufen der Tiere und das gelegentliche Knarren der Ledersättel waren die einzigen Geräusche, die Jay und Sophie noch wahrnehmen konnten. Der große Abstand zwischen den einzelnen Bäumen erlaubte ihnen, die Pferde zu einem leichten Trab anzutreiben. Sie entfernten sich immer weiter von der Straße.
Nach einiger Zeit erreichten die beiden Frauen einen Punkt, von wo aus
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