Gletschergrab
Verbindung zueinander gehalten, so gut es in diesen Zeiten möglich war. Viel mehr als er war sein Bruder mit dem eigentlichen Kriegsgeschehen in Berührung gekommen, und Miller war sehr besorgt um ihn gewesen. Er hatte ihn während des Krieges nur zweimal getroffen, das eine Mal in London und das andere Mal in Paris, wo er ihn mit dieser Mission betraute.
Sie korrespondierten häufig miteinander und freuten sich schon darauf, nach dem Krieg wieder beisammen sein zu können.
Für diese Mission bedurfte es eines Piloten aus den Reihen der Alliierten, jemand, der mit der Flugroute vertraut war und Verbindung mit den Flugsicherungsdiensten der Alliierten am Boden aufnehmen konnte. Der Flug sollte zunächst nach Island gehen und von da aus über den Atlantik. Millers Bruder war die 300
Strecke oft geflogen, deswegen hatte er ihn vorgeschlagen. Das geschah in den letzten Kriegsmonaten, und Miller war der Meinung, dass es im Interesse seines Bruders war, wenn er ihn aus dem unmittelbaren Kriegsgeschehen herausholte. Sie hatten vorgehabt, sich in Reykjavik zu treffen und zusammen nach Südamerika zu fliegen, wo sie ein paar Urlaubstage verbringen wollten.
Miller wusste nicht, von wem der Plan zu dieser Mission stammte und wer ihn in die Tat umgesetzt hatte, geschweige denn, welche militärischen Instanzen dafür verantwortlich waren. Wer auch immer involviert war, bekam immer nur einen begrenzten Ausschnitt zu wissen. Nur ganz wenige Auserwählte innerhalb der Streitkräfte kannten das letztendliche Ziel. Miller befolgte nur die Befehle und bereitete gewissenhaft den Teil der Mission vor, für den er verantwortlich war. Andere Einzelheiten waren ihm nicht bekannt. Er wusste nicht, worüber die Alliierten mit den Deutschen verhandelten oder wer bei den Unterhandlungen in Berlin dabei war, das stellte sich alles erst später heraus. Ursprünglich sah der Plan vor, dass die Deutschen eines der amerikanischen Flugzeuge, das ihnen in die Hände gefallen war, einsetzen sollten, aber aus irgendwelchen Gründen zerschlug sich das, und deswegen wurde beschlossen, die Junkers Ju 52 mit den Farben der Alliierten zu übermalen.
Zwei Tage, bevor sein Bruder mit der deutschen Delegation in Berlin starten sollte, war Miller zusammen mit anderen Angehörigen des militärischen Geheimdienstes nach Reykjavik geflogen. Sie wohnten im Hotel Borg. In Reykjavik wimmelte es von Soldaten, aber sie hatten kaum Kontakt zu ihnen und hielten sich im Hintergrund. Sie inspizierten den Flugplatz von Reykjavik, den die Engländer gebaut hatten. Die Maschine würde drei Stunden Aufenthalt in Reykjavik haben, um aufzutanken und Proviant aufzunehmen, bevor es über den Atlantik ging. Die Wettervorhersage für die nächsten zwei Tage war gut, aber danach war die Großwetterlage unklar. Das Wetter 301
war zu dieser Jahreszeit immer ein Unsicherheitsfaktor. Die Flugroute über Island war nur eine von mehreren, die infrage kamen, falls die bewusste Operation tatsächlich zur Ausführung gelangen sollte.
Die Verhandlungen in Berlin zogen sich in die Länge, Miller wusste nicht, weshalb. Der Zeitrahmen war eng, von ihm durfte auf keinen Fall abgewichen werden, aber all diese Pläne wurden zunichte gemacht. Als sein Bruder startete, hatte sich im Süden von Island ein ansehnliches Sturmtief zusammengebraut, das sich auf den Südosten der Insel zubewegte, wobei das Barometer mit beängstigender Geschwindigkeit sank. Die Flugsicherung in Prestwick in Schottland hörte vier Stunden nach dem Abflug aus Berlin zuletzt von der Maschine, die sich zu dem Zeitpunkt im Norden von Schottland befand. Danach war die Funkverbindung abgebrochen, und man wusste nichts über den Verbleib der Maschine, bis die beiden Brüder nach Höfn im Hornafjörður kamen und meldeten, dass sie ein Flugzeug im Tiefflug gesehen hätten, das aller Wahrscheinlichkeit nach eine Bruchlandung auf dem Gletscher gemacht hatte.
Als die Funkverbindung zur Maschine abriss, wurde Miller augenblicklich benachrichtigt, und er ahnte irgendwie sofort, dass sie abgestürzt war. Er spürte es einfach. Trotzdem verbrachte er die meiste Zeit auf dem Flugplatz und hoffte, von seinem Bruder zu hören, aber vergeblich. Die Tage vergingen, und das Unwetter, das über Südostisland getobt hatte, ging auch über Reykjavik hinweg und war so schlimm, dass man keinen Hund vor die Tür jagen konnte. Miller ging davon aus, dass die Maschine entweder ins Meer gestürzt war oder dass sein Bruder wieder nach Schottland
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