Gletschergrab
finden waren. Er dachte, dass es sich um ein Flugzeug der amerikanischen Streitkräfte handeln könnte, falls es ein Flugzeug auf dem Gletscher gab. Sie gingen schnell an den Akten schränken entlang und lasen die Aufschriften auf den Registern und Boxen. Sie waren schon weit im Archiv vorgedrungen, als Steve plötzlich anhielt und nach einem Stehordner griff. Er warf einen Blick hinein, schob ihn wieder an seinen Platz und setzte die Suche fort. Dies wiederholte sich ein paar Mal, er zog einen Stehordner mit ein paar Mappen heraus, blätterte in ihnen und stellte sie wieder an ihren Platz zurück.
Sie fanden nichts von Interesse und waren bald wieder zurück in seinem Büro.
»Ein Bekannter von mir hat Zugang zu mehr Unterlagen als ich«, sagte Steve, während er am Fenster stand und nach draußen blickte. »Wir wollen sehen, was er dazu meint.«
»Entschuldige bitte, dass ich dich in diese Sache hineingezogen habe, aber ich wusste nicht, an wen ich mich sonst hätte wenden sollen«, sagte Kristín, als sie wieder aus dem Gebäude kamen.
»Mach dir darüber keine Gedanken«, antwortete Steve und sah sich unauffällig um. »Ich will genauso wie du wissen, was da 119
oben auf dem Gletscher vor sich geht.«
Sie entschlossen sich, den Jeep stehen zu lassen und zu Fuß zu gehen. Steve schien sich auf dem Gelände der Basis sehr gut auszukennen und hielt sich abseits der frequentierten Wege. Sie liefen durch die Gärten einiger Mehrfamilienhäuser, rannten schnell von einer Seite zur anderen, wenn sie erleuchtete Straßen überqueren mussten, und achteten darauf, in Deckung zu bleiben. Keiner von beiden hatte Erfahrung mit diesem Spiel, trotzdem verhielten sie sich, als hätten sie seit Jahren nichts anderes gemacht. Steve ließ eine Bemerkung darüber fallen, um die Spannung etwas zu lösen. »Das kommt von all den Filmen, die man gesehen hat«, sagte Kristín. Sie wusste nicht, wohin sie unterwegs waren. Wie die meisten Isländer war sie kaum je auf der Basis gewesen, eigentlich nur ein einziges Mal, als sie als Kind ihre Eltern zum internationalen Flughafen begleitet hatte, bevor die Isländer ihr eigenes Flughafengebäude in Keflavík gebaut hatten. Sie kannte das Andrews-Kino, an dem Steve und sie gerade vorbeigingen, und vor sich sah sie jetzt das alte Hauptgebäude des Flughafens und den Offiziersklub liegen. Sie erinnerte sich an zwei Klassenkameraden in der Oberstufe, die bei dem größten isländischen Bauunternehmer auf der Basis gearbeitet hatten. Jedes Wochenende kamen sie mit Zigaretten und Wodka beladen nach Hause, an die sie bei den Amis billig herankamen. Zutiefst beneidet von den Klassenkameraden.
»Ich habe nicht damit gerechnet, dich wiederzusehen«, sagte Steve, als sie durch den Schnee hinter einem Gebäude vorbeihuschten.
»Ich weiß«, sagte Kristín.
»Ich hatte immer vor, darüber noch einmal mit dir zu sprechen, aber irgendwie …«
»Das hatte ich auch vor. Es war meine Schuld.«
»Nein, war es nicht. Überhaupt nicht. Niemand hatte Schuld daran. Warum muss immer jemand Schuld an etwas haben?«
120
Kristín gab ihm keine Antwort, und Steve ließ das Thema fallen. Das Gelände war fast menschenleer, aber zweimal sahen sie die Militärpolizei patrouillieren. Steve blieb an einem Mehrfamilienhaus stehen, das seinem eigenen stark ähnelte, aber in einer ganz anderen Ecke der Basis lag. Für Kristín sahen alle diese Wohnblocks gleich aus. Er bat sie, einen Moment zu warten, er sei nicht lange weg. Sie stand an der Giebelseite des Gebäudes und versuchte, nicht aufzufallen. Es verging ungefähr eine Viertelstunde, dann kehrte Steve mit einem ziemlich korpulenten Mann in seinem Alter zurück, den er ihr als Arnold vorstellte. Er hatte feuchte Hände, lispelte und hatte einen flackernden Blick. Sie nahmen sein Auto.
»Arnold ist Bibliothekar«, sagte Steve und lächelte. »Er kennt sich im Archiv hier aus, außerdem schuldet er mir einen Gefallen.«
Kristín hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. Arnold sagte keinen Ton.
Er fuhr zu einem zweistöckigen Gebäude nicht weit vom alten Flughafengebäude entfernt. Als er sie durch die Hintertür hereingelassen hatte, ging er mit ihnen direkt in den Keller, ähnlich dem in Steves Bürogebäude, nur dass dieser noch weitläufiger war und drei Etagen einnahm.
»Von welchem Jahr reden wir?«, fragte Arnold und sah Steve grimmig an.
»Eigentlich von allen Flügen über den Vatnajökull seit Kriegsende«, sagte Steve. »Ich weiß nicht,
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