Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
Vom Netzwerk:
dem Gletscher sind, müssen sie von hier kommen.«
    »Sie umzubringen?«
    »Ja!«
    »Was für ein Unsinn ist das eigentlich? Warum dringen Sie 127

    mitten in der Nacht bei mir ein und erzählen so einen Unfug?
    Was geht mich das an?«
    »Sie sind Pilot. Seit langem. Wissen Sie etwas über ein Flugzeug auf dem Vatnajökull?«
    Thompson sah sie abwechselnd an.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte er aufgebracht.
    »Gehen Sie jetzt bitte, bevor ich die Polizei rufen muss.«
    »Ich weiß, dass wir in Ihren Augen wirken müssen wie Verrückte, weil wir Sie mitten in der Nacht mit solchen Schauergeschichten aus dem Bett holen«, sagte Steve, »aber das zeigt nur, in was für einer verzweifelten Situation wir uns befinden. Dies ist kein Spiel, wir wollen Sie nicht an der Nase herumführen oder zum Narren halten. Wenn Sie uns nicht helfen können, dann war es das eben. Dann gehen wir. Aber wenn Sie uns irgendetwas erzählen können, was Licht in die Sache bringt, dann würde uns das sehr helfen.«
    »Mein Bruder hat ein Flugzeug auf dem Gletscher gesehen, das er nicht hätte sehen sollen«, sagte Kristín. »Außerdem Soldaten, die bestimmt hier von der Basis kamen. Sie glauben, dass er mir erzählt hat, was er gesehen hat, und sind nun hinter uns her. Steve ist darauf gekommen, dass ein Pilot wie Sie vielleicht etwas über ein Flugzeug auf dem Gletscher wissen könnte.«
    »Wer sind diese ›sie‹, von denen Sie die ganze Zeit reden?«, fragte Thompson.
    »Wir haben keine Ahnung«, sagte Steve. »Uns sind zwei Männer auf den Fersen. Vor ein paar Stunden haben sie versucht, Kristín zu ermorden. Ich weiß nicht, in wessen Auftrag sie handeln.«
    »Nach unseren Informationen«, sagte Kristín, »sind vor kurzem drei militärische Spezialeinheiten in Keflavík gelandet und zum Vatnajökull aufgebrochen.«
    128

    Thompson schwieg eine ganze Weile.
    »Wollten sie Sie umbringen?«
    Sie sahen ihn an, ohne etwas zu erwidern.
    »Es wurde so viel gemunkelt«, sagte er schließlich und schien zu kapitulieren.
    »Was wurde denn gemunkelt?«, fragte Kristín.
    »Wir waren nie sicher, hinter was sie eigentlich her waren«, fuhr Thompson fort. »Wir waren der Meinung, dass es sich um ein Flugzeug handeln könnte, das eine so gefährliche Fracht geladen hatte, dass man deswegen anfing, regelmäßige Aufklärungsflüge hier im Norden über Land und Meer durchzuführen. Wir sind einmal im Monat über den Gletscher geflogen, über den südöstlichen Teil, haben Fotos von der Eisoberfläche gemacht. Leo Stiller, unser Vorgesetzter, hat die Einsätze geleitet. Ich selber habe nie etwas auf dem Gletscher gesehen, aber ein paar Mal, im Abstand von vielen Jahren, ist offenbar etwas entdeckt worden, was einer genaueren Untersuchung wert war.«
    »Leo Stiller?«, wiederholte Steve.
    »Ein ausgezeichneter Mann. Ist bei einem Hubschrauberunglück hier auf der Basis ums Leben gekommen.
    Seine Frau ist nach seinem Tod nach Reykjavik gezogen. Sarah Steinkamp.«
    »Wer hat die Fotos erhalten?«, fragte Steve.
    »Ich glaube, dass sie in die Zentrale des Militärgeheimdienstes nach Washington geschickt wurden. Viel weiß ich nicht über diese Angelegenheit. Ich kenne eigentlich nur das Gerede und die Spekulationen, die hier vor einigen Jahrzehnten umgingen und auch heute noch immer mal wieder aufflammen. Leo glaubte an alle möglichen Verschwörungstheorien und erzählte überall davon. Das mit Ihrem Bruder tut mir Leid. Ich kann mir vorstellen, dass er dort oben auf dem Gletscher in Gefahr ist, 129

    wenn man überlegt, was für ein Aufhebens all die Jahre von dieser Sache gemacht worden ist.«
    »Um was für ein Flugzeug handelt es sich?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Was ist daran so wichtig?«
    »Keine Ahnung.«
    »Was glauben Sie, was sich in der Maschine befindet?«, fragte Kristín. »Was haben die Piloten geglaubt?«
    Thompson gab ihr keine Antwort, sondern stand langsam auf und fragte, ob er nicht einen Kaffee aufsetzen solle. Sie sähen recht verfroren aus, und er käme auch nie richtig in die Gänge, bevor er morgens nicht einen Kaffee getrunken hätte. »Es ist zwar noch nicht morgens«, korrigierte er sich, »aber es dauert ja nicht mehr lange, und nach einem solchen nächtlichen Besuch lohnt es sich kaum, sich noch einmal hinzulegen.« Er pusselte in seiner kleinen Küche herum, die ans Wohnzimmer angrenzte, und Kristín und Steve sahen einander an. Steve machte ihr ein Zeichen, sich zu entspannen, locker zu bleiben, sich nicht

Weitere Kostenlose Bücher