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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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sein.
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    19
    Vytautas Carr ging raschen Schrittes in den Kontrollraum. Mit einem dumpfen saugenden Geräusch schlossen sich die Türen sanft hinter ihm. Es waren Panzertüren, die sogar einem Bombenanschlag standhalten konnten. Hinter ihnen herrschte dieselbe kalte Dunkelheit. Die Monitore stellten die einzige Lichtquelle im Raum dar. Die meisten waren in Betrieb. An den Kontrollpulten und Computeranlagen, die die Satelliten der Organisation steuerten, saßen viele Mitarbeiter. Carrs Assistent Phil kam ihm entgegen und winkte ihn zu sich. Sie gingen durch die Halle in einen deutlich kleineren Raum und schlossen die Tür hinter sich.
    »In Kürze bekommen wir eine Liveaufnahme«, sagte Phil, ein magerer Mann mit entschlossenen Bewegungen. Er rauchte Kette, hatte die Hemdsärmel hochgekrempelt und trug eine Hornbrille. Die Gläser waren immer voller Fingerabdrücke, aber das schien ihn nicht weiter zu stören. Er gehörte zu den Mitarbeitern, die die Satelliten des Militärgeheimdienstes steuerten.
    »Wie viel Zeit haben wir dann?«, fragte Carr.
    »Der Satellit braucht ca. siebenunddreißig Minuten, um das Gebiet zu überqueren. Im Moment ist klare Sicht, aber es naht ein Sturm.«
    »Weiß Ratoff, dass wir ihn unter Beobachtung haben?«
    »Mit Sicherheit.«
    Auf dem Monitor vor Carr tauchte Island auf. Der östliche Teil Grönlands ebenfalls. Der Ausschnitt verschwand, und ein anderer vom südöstlichen Teil Islands kam zum Vorschein. Phil drückte auf einen Knopf, woraufhin ein drittes Bild erschien, das den südlichen Teil des Vatnajökull zeigte. Phil vergrößerte das 156

    Bild. Erst war das Firneis des Gletschers mit seinen Spalten und Rissen zu erkennen, dann konnte man plötzlich kleine schwarze Punkte ausmachen, die sich auf dem Gletscher bewegten. Carr hatte das Gefühl, durch ein Mikroskop Mikroorganismen zu beobachten, die auf einem Glasplättchen hin und her schwammen. Das Bild vergrößerte sich noch mehr, und jetzt konnte Carr die Aktivitäten auf dem Gletscher verfolgen.
    Er sah das Flugzeug halb aus dem Eis ragen, und sein Herz machte einen Sprung. Er sah die Männer, die rund um das Wrack gruben, konnte ihre Zelte und Fahrzeuge ausmachen, die im Halbkreis um das Flugzeug postiert waren, sah den Widerschein der Schneidbrenner am Flugzeugwrack. Sie hatten angefangen, es aufzuschneiden.
    »Nehmen wir das auf Band auf?«, fragte Carr.
    »Yep«, gab Phil zurück. »Sollten wir nicht schon bald das Gold glitzern sehen?«, fragte er und lächelte.
    »Ja, das Gold. Genau.«
    Carr beobachtete die Männer auf dem Gletscher eine ganze Weile lang. Das Bild war nicht sehr klar. Die Männer erschienen nur wie Punkte, die auf dem Gletscher hin und her tanzten. Das Flugzeug war auch nicht richtig deutlich zu erkennen. Die Operation schien gut voranzugehen. Ratoff war im Plan. Man ging systematisch zu Werke. Bald würde die Maschine aus dem Eis befreit sein.
    Plötzlich schien auf dem Gletscher alles außer Rand und Band zu geraten. Die Männer rannten alle zum Flugzeug. Carr glaubte zu erkennen, dass es in der Mitte durchgebrochen war.
    Das Flugzeug war offen.

    Ratoff schoss aus dem Kommunikationszelt, als er die Rufe seiner Männer hörte, und rannte zum Wrack der Maschine. Als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte, brach der Bug der 157

    Maschine unter ohrenbetäubendem Quietschen und Kreischen ab und fiel aufs Eis. Der hintere Teil der Maschine steckte immer noch halb im Gletscher fest. Das Wrack war nun offen, und Ratoff warf einen Blick hinein. Er drehte sich zu den Soldaten um und erteilte ihnen die Anweisung, den Abtransport des Bugs vorzubereiten. Gleichzeitig verbot er ihnen, ohne seine Erlaubnis das Innere der Maschine zu betreten.
    Die Männer rückten mit ihren Schneidbrennern ab, sodass Ratoff die Maschine betreten konnte. Er bückte sich leicht und trat in die Kabine. Die vier Truppführer der Spezialeinheiten standen vor dem Eingang. Sie kannten ihre Aufgabe. Die Soldaten zerstreuten sich und setzten ihre Arbeit fort. Bald war es, als wäre nichts vorgefallen.
    In diesem Teil der Maschine lagen zwei Leichen von Männern mittleren Alters in Offiziersuniformen des deutschen Heeres.
    Jetzt waren also drei Deutsche zum Vorschein gekommen, dachte Ratoff bei sich. Sie lagen dicht nebeneinander auf dem Boden der Maschine, Seite an Seite, als seien sie sorgfältig dort aufgebahrt worden. Ihre Haut schimmerte bläulich weiß, und Ratoff konnte keinerlei Verwesungsanzeichen erkennen. Er kannte sich

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