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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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kontrolliert.
    Entschuldige die Frage, aber mir schießt gerade der Gedanke durch den Kopf, dass du vielleicht den Verstand verloren hast.
    Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben merkwürdigere Telefongespräche geführt als die beiden Male mit dir hier oben auf dem Gletscher.«
    171

    »Das ist mir klar«, sagte Kristín. »Manchmal kommt es mir selber so vor, als ob ich den Verstand verlieren würde. Aber du musst mir glauben. Es gibt einen Grund dafür, dass mein Bruder dir gerade unter den Händen wegstirbt, einen viel, viel komplizierteren Grund, als wir beide uns ausmalen können. Ich bin mir nicht sicher, dass der Militärhubschrauber kommen wird. Ruf die isländische Küstenwache an, und lass nicht locker, bis sie dir ihren Hubschrauber schicken, ganz gleich, was sie über den Militärhubschrauber sagen. Ruf die isländische Küstenwache!«

»Verstanden«, rief Júlíus.
    »Und warte auf meinen nächsten Anruf.«
    Die Verbindung brach abrupt ab, und Kristín legte den Hörer auf.
    »Wann treffen wir diese Freundin von dir, Steve? Monica hieß sie, nicht wahr?«
    »In ein paar Stunden«, erwiderte Steve. »Bis dahin sollten wir uns besser ein bisschen ausruhen.«
    »Uns ausruhen?«
    »Elías lebt«, sagte Steve vorsichtig. »Er ist immer noch am Leben. Es gibt noch Hoffnung.«
    »Es ist ihnen nicht gelungen, ihn umzubringen«, sagte Kristín.
    »Es soll ihnen auch nicht gelingen, ihn umzubringen und damit davonzukommen. Wir treffen uns mit Monica und brechen dann zum Gletscher auf.«
    »Dafür brauchen wir die entsprechende Ausrüstung. Einen Bergführer. Einen Jeep. Wo sollen wir das alles herbekommen?«, fragte Steve besorgt.
    »Wir müssen zum Gletscher und die beiden Brüder treffen, von denen Michael Thompson gesprochen hat. Sie werden uns bestimmt helfen, wenn sie noch am Leben sind, oder die Leute, die den Hof jetzt bewohnen. Außerdem habe ich eine Idee, wie 172

    ich uns einen Jeep besorgen kann.«
    »Und was sollen wir allein oben auf dem Gletscher machen, falls die Soldaten immer noch da sind?«
    »Keine Ahnung«, gab Kristín zurück, »aber ich muss auf den Gletscher. Ich muss mit eigenen Augen sehen, was dort los ist.
    Ich muss wissen, was dort vor sich geht.«
    Es ging jetzt nicht mehr nur um ihren Bruder. Ihre Neugier war geweckt. Sie wollte wissen, was sich im Flugzeug befand, und war entschlossen, es herauszufinden. Und wenn sie es herausgefunden hätte, würde sie davon erzählen. Würde die Schufte hochgehen lassen, die Jóhann umgebracht und dasselbe mit ihrem Bruder versucht hatten. Würde der ganzen Geheimniskrämerei ein Ende machen und die Sache auffliegen lassen.
    Sie und Steve sahen sich in die Augen. Er schien ihre Gedanken lesen zu können, denn plötzlich nickte er und lächelte aufmunternd.
    »Erst sollten wir aber noch in der Bibliothek vorbeischauen«, sagte Kristín.
    »In der Bibliothek?«
    »Nachschlagen, was 1967 los war. Ich muss das mit Neil Armstrong rauskriegen.«

    Es saßen nur wenige Besucher im Lesesaal, und die Stille wurde nur von Kristín durchbrochen, die durch das Mikrofilm-Archiv mit den Zeitungsausgaben der sechziger Jahre blätterte. Sie saß vor einem trägen Lesegerät und ließ eine Seite nach der anderen abrollen. Welche Zeitspanne ein Mikrofilm umfasste, variierte je nach Umfang der archivierten Zeitungen. Bis zu zwei Jahrgänge konnten auf einem Film sein, und Kristín sah die Schlagzeilen der damaligen Zeit vorbeifliegen. Meldungen aus dem Vietnamkrieg, Aufmacher über die Ermordung Martin Luther 173

    Kings, den Mord an Kennedy, die Hippie-Revolten in Paris, die Präsidentschaftskandidatur Nixons.
    Steve hielt sich in einer kleinen Jugendherberge in der Nähe auf, während Kristín in der Bibliothek war. Er hatte ein paar Dollar bei sich, die der Leiter gern in die eigene Tasche steckte.
    Sie brauchten das Zimmer nur für ein paar Stunden, und der Leiter verzichtete darauf, ihre Namen aufzunehmen. Nachdem sie sich mit Monica getroffen hatten, wollten sie nach Höfn im Hornafjörður aufbrechen. Steve erklärte ihr, er wolle noch ein paar Informationen über die Operation auf dem Gletscher sammeln, indem er ein paar Bekannte anrief und sie ausfragte.
    Kristín stieß auf den Besuch der Astronauten 1967. Damals war eine Gruppe von fünfundzwanzig Personen nach Island gekommen, und es schien, als wären die Medien ihnen auf Schritt und Tritt gefolgt. Einer der Astronauten hieß Bill Anders, wie Michael Thompson gesagt hatte. Der Mann, der die

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