Gletschergrab
heben, sind vergeblich. Dieser Rumpf wird unser Sarg werden, und ich glaube, dass uns das langsam klar zu werden beginnt.
Wir haben überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Vielleicht sind zwei oder drei Tage seit dem Absturz vergangen, vielleicht mehr. Auch der Hunger macht sich bemerkbar. Es gibt nichts mehr zu essen, und hier drinnen herrscht sehr stickige Luft.
Wahrscheinlich erneuert sich der Sauerstoff nicht schnell genug.
Die Deutschen dämmern vor sich hin. Sie haben mir seit der Bruchlandung keine Beachtung mehr geschenkt. Da haben sie 245
sich mit mir angelegt und geschrien und gebrüllt, bis von Manteuffel sie angeschnauzt hat, dann hörten sie auf. Ich wünschte, ich könnte besser Deutsch. Hätte gern gewusst, was es mit dieser Mission auf sich hat. Ich weiß, dass sie wichtig ist, sonst hättest du mich nicht geschickt, aber was geht hier vor?
Worum geht es in dieser Zusammenarbeit mit den Deutschen?
Sind sie nicht mehr unsere Feinde? Warum diese Geheimniskrämerei?
Wir liegen in einem eisernen Sarg und sterben allmählich.
Es sei denn, du findest uns.
Beeil dich, beeil dich, beeil dich …
Ratoff wurde beim Lesen gestört.
»Ein Anruf von Carr«, rief jemand von den Spezialeinheiten in sein Zelt. Ratoff ging zum Kommunikationszelt und bekam den Hörer hingehalten.
»Die isländischen Behörden stehen wegen des Manövers auf dem Gletscher zunehmend unter Druck«, erklärte Carr. Er befand sich auf dem amerikanischen Stützpunkt in Keflavík.
Seine Maschine war vor zwanzig Minuten gelandet und würde wieder in die Luft gehen, sobald sie aufgetankt war. Carr hatte vor, mit der C-17 weiterzufliegen. Er hatte eine kurze Besprechung mit dem Admiral gehabt, der ihm von der wachsenden Besorgnis isländischer Regierungsstellen wegen der Anwesenheit der amerikanischen Truppen auf dem Vatnajökull berichtete. Der Schwindel mit der Eruptionsgefahr würde sich nicht lange aufrechterhalten lassen. Die Zeit lief ihnen davon.
»Wir sind in absehbarer Zeit weg von hier«, sagte Ratoff.
»Wir warten nur noch auf die Helikopter.«
»Keine weiteren Leichen«, sagte Carr, »und auch keine Leute, die spurlos verschwinden. Macht, dass ihr vom Gletscher runterkommt und verschwindet. Irgendwelche Probleme?«
»Nein«, erklärte Ratoff. Von der Rettungsmannschaft und von 246
Kristín sagte er nichts.
»Gut.«
Sie beendeten das Gespräch.
Ratoff gab dem Nachrichtentechniker das Handy zurück und verließ das Zelt. Er hörte das Knattern der großen Rotorblätter der Pavehawk-Hubschrauber, die von Westen angeschwebt kamen, und sah, wie sich zwei Lichtpunkte in der nächtlichen Finsternis näherten. Seine Leute hatten die Landung auf dem Eis vorbereitet. Sie hatten Fackeln in zwei großen Kreisen aufgestellt und vier große Signalraketen in die Luft gejagt, die noch einige Minuten am Himmel schweben und den Landeplatz beleuchten würden. Die Pavehawks flogen in den erhellten Bereich hinein und schwebten einen Augenblick über dem Lager, bevor sie ganz langsam auf dem Eis landeten. Der Schnee stob in alle Richtungen davon, und der Lärm war ohrenbetäubend. Die Mitglieder des Sonderkommandos gingen in Deckung, bis die Motoren abgestellt wurden, und schließlich hörten die Rotoren auf, sich zu drehen. Die Türen der Hubschrauber öffneten sich, und die Besatzung sprang heraus.
Sie wurden zu Ratoffs Zelt geschickt. Bald war wieder alles still auf dem Gletscher.
Die Piloten betrachteten neugierig die Arbeit der Spezialeinheiten, die von starken Flutlichtscheinwerfern beleuchtet wurden. Sie sahen das Zeltlager, das im Halbkreis um das Flugzeug herum aufgeschlagen worden war, das halb aus dem Eis herausragte. Sie bemerkten sofort das Hakenkreuz unter dem Cockpit, und dass unter der abblätternden Tarnfarbe überall die steingraue Originalfarbe durchschimmerte. Die Menschen wimmelten wie die Ameisen um die Maschine herum. Der Rumpf war in zwei Teile zerschnitten, aber sie konnten nicht in das Flugzeug hineinsehen, weil Zeltplanen davor gespannt worden waren. Sie warfen einander Blicke zu und schauten dann wieder auf das Wrack. Ihnen war nichts Genaueres über die Aufgabe, die sie mitten in der Nacht hier oben auf dem 247
Gletscher erwartete, mitgeteilt worden. Es hatte nur geheißen, dass sie schweres Gerät vom Gletscher herunterholen und keine Fragen stellen sollten. Ziel war die C-17, die schon seit drei Tagen auf dem Flughafen in Keflavík stand.
Ratoff nahm die Piloten in Empfang. Es waren vier, jeweils zwei
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