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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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sich vor ihren Augen abspielte, machte es ihr fast unmöglich, die Ereignisse in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Sie war kaum noch im Stande, einen Unterschied zwischen dieser absurden Realität und ihren albtraumartigen Vorstellungen zu erkennen. War das wirklich alles wahr, oder war es nur ein Traum?
    Seite an Seite standen die Pavehawk-Hubschrauber mit ihren überdimensionalen Rotorblättern auf dem Eis. An die dreißig kleinere und größere Zelte standen in einem Halbkreis auf dem Gletscher. Motorschlitten, Raupenfahrzeuge, Anhänger mit Dieselmotoren und transportablen Generatoren, Scheinwerfer, Satellitenschüsseln und diverse andere Geräte, mit denen sie nichts anfangen konnte, waren über das ganze Gelände verstreut. Dutzende, wenn nicht hunderte von Männern rannten auf dem Eis hin und her, und sie sah, dass einige von ihnen angefangen hatten, die Zelte abzubauen und alles zusammenzuräumen. Ihr wurde klar, dass sie dabei waren, die Sache abzuwickeln. Bald würden alle Spuren von ihrer Anwesenheit auf dem Gletscher getilgt sein. Irgendwo tief in ihrem Unterbewusstsein begann eine Alarmglocke zu schrillen, die sie nach und nach wieder auf den Boden der Tatsachen 251

    zurückholte. Sie bereiteten den Aufbruch vor!
    Sie waren im Begriff, den Gletscher zu verlassen!
    Dann sah sie das Flugzeug. Es lag in einer flachen Mulde auf dem Gletscher und war in zwei Teile zerlegt worden. Zwei Gruppen arbeiteten daran, an den Rumpfteilen starke Traggurte zu befestigen, die zu den Hubschraubern führten. Sie begriff, dass die Hubschrauber dazu dienten, das Wrack abzutransportieren, und danach würde es nicht lange dauern, bis alle Soldaten den Gletscher geräumt hätten.
    Es herrschten völlige Windstille und starker Frost. Der Gletscher war in tiefste Finsternis gehüllt, die aber von dem starkem Flutlicht zurückgedrängt wurde. Steve und sie waren auf zwei Motorschlitten hierher gebracht worden, unterwegs hatten die Soldaten ständig Verbindung zu ihrem Basislager gehabt. Nach etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten fuhren sie über eine Anhöhe, von der sich ihnen dieser Anblick bot. Die Schlitten glitten den flachen Hang hinunter und hielten vor einem der größeren Zelte, an dessen Eingang zwei Soldaten postiert waren. Dort führte man sie hinein.
    »Alles in Ordnung, Kristín?«, fragte Steve. Sie gingen ins Innere des Zeltes und hielten sich so weit wie möglich von den Wachtposten entfernt.
    »Ja, und was ist mit dir?«
    »Es könnte mir besser gehen«, sagte Steve. »Ich könnte jetzt beispielsweise auf der Basis sein und mir im Fernsehen Baseball anschauen. Heute Abend gibt’s ein Topspiel. Oder was für ein Abend ist eigentlich heute Abend?«
    »Das Spiel ist doch wohl kaum interessanter als das hier«, erwiderte Kristín. Sie vermochte nicht einmal zu lächeln. Sie sah Steve an und bemerkte den besorgten Ausdruck in seinem Gesicht.
    Auf einem Tisch stand eine große Gaslampe, die das Zelt erhellte und ein wenig Wärme ausstrahlte, ansonsten war es 252

    bitterkalt. Vier Klappstühle standen ebenfalls herum. Ganz in ihrer Nähe sahen sie Zeltplanen, die auf dem Eis ausgebreitet waren, konnten aber nicht ausmachen, was sich darunter befand.
    Sie schauten die Männer am Zelteingang an, die ausdruckslos zurückstarrten.
    »Ich will mit Ratoff sprechen«, rief Kristín ihnen zu. Keine Reaktion.
    »Hätte deine Rettungsmannschaft nicht schon längst hier sein sollen?«, fragte Steve, und in seiner Stimme schwang Angst mit.
    »Und eure Küstenwache oder wie die heißt? Und die Polizei, die Journalisten und die Fernsehkameras? Wo bleibt CNN? Wo ist die Kavallerie?«
    »Ich weiß«, sagte Kristín. »Bestimmt tut sich bald was. Ich glaube nicht daran, dass sie das geheim halten können, ich glaube es einfach nicht.«
    Sie blickte nach unten auf die Zeltplane.
    »Was ist denn das hier?«, fragte sie leise und trat noch weiter nach hinten ins Zelt. Die Ecke eines grauen Leichensacks schaute an einer Stelle hervor. Steve und Kristín zogen sich langsam und vorsichtig noch weiter in den hinteren Teil des Zelts zurück. Die Wachtposten schienen nichts zu bemerken.
    »Was liegt denn hier?«, flüsterte sie. Kristín setzte einen Fuß auf die Plane und zog sie zu sich heran. Die Plane rutschte ein Stück nach vorn, sie stellte ihren Fuß wieder darauf und zog weiter. Kristín wiederholte das Spiel so lange, bis die Plane langsam freigab, was darunter lag. Der Leichensack war oben offen, und sie sahen eine

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