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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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unterdessen mit einem Amerikaner gevögelt. Das hättest du mitkriegen sollen, Kristín, dieses wimmernde Elend. Der schrie nicht ›Mama‹, wie all die anderen Jammerlappen …«
    Die Spucke landete auf seiner Stirn und rann ihm ins Auge hinunter, aber er fuhr ungerührt mit seiner heiseren, leisen Stimme fort.
    »Warum er wohl nicht nach seiner Mutter gejault hat? Warum bloß nach der großen Schwester?«
    Ein Mitglied der Spezialeinheit erschien am Zelteingang.
    »Die Helikopter sind bereit«, rief er. Ratoff drehte sich um und wischte sich die Spucke aus dem Gesicht. Er schaute Simon an und nickte ihm zu. »Ihr bringt dann die Leichen von den Deutschen in das Heck«, sagte er und ging los. Er war schon halb draußen, als Kristín ihm nachrief: »Ich weiß Bescheid über Napoleon!«
    Ratoff hielt im Zelteingang inne und drehte sich um.
    »Ich weiß alles über Napoleon«, sagte Kristín.
    »Was redest du da für einen Quatsch!« Ratoff kam ins Zelt zurück.

»Ich weiß Bescheid über diese Dokumente«, fuhr Kristín in blindem Zorn fort. »Der Name war Operation Napoleon.«
    »Und was weißt du darüber?«, sagte Ratoff drohend.
    »Alles.«
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    »Was?«
    »Das, was die Deutschen da deichseln wollten«, sagte Kristín und tappte jetzt blind drauflos. »Ich weiß, was dieses kostbare Flugzeug in sich birgt. Geheimnisse in Akten. Keine Bombe, kein Gold, kein Virus. Bloß Papiere.«
    »Und wer weiß noch alles von Napoleon?«, fragte Ratoff, der jetzt wieder drohend vor Kristín stand. Sie schauten sich lange in die Augen. Ratoff wiederholte die Frage, und Kristín merkte, dass sie einen wunden Punkt berührt hatte, sie hatte jedoch nicht die geringste Ahnung, wie sie daraus Kapital schlagen konnte.
    »Wem hast du noch von Napoleon erzählt?«, sagte er, und Kristín sah Stahl in Ratoffs Hand aufblitzen.
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    32
    Vytautas Carr stand an der Tür zum Hangar 11 auf dem Flughafen in Keflavík, schaute hinaus in die Finsternis und war mit seinen Gedanken bei der Operation auf dem Gletscher. Im Dunkeln konnte er die C-17 nicht erkennen, wusste aber, dass man die Transportmaschine gerade startklar machte. Die Helikopter mit den Flugzeugteilen würden jeden Augenblick vom Gletscher abheben, und wenn alles nach Plan ging, würden sie binnen drei Stunden außer Landes sein. Damit wäre die Sache endlich abgeschlossen. Die zuständigen isländischen Regierungsstellen waren inzwischen sehr beunruhigt. Die Botschaft in Reykjavik wurde wegen des Schusswechsels vor dem Lokal und der militärischen Operation auf dem Vatnajökull, wie die Journalisten es ausdrückten, mit Anfragen von den Medien bombardiert. Die Reykjaviker Polizei hatte Wind davon bekommen, dass es Truppenbewegungen in Richtung Gletscher gegeben hatte, sie kannten Ratoffs Namen und hatten sowohl bei der Botschaft als auch beim Oberkommando in Keflavík Erkundigungen eingezogen. Der Hubschrauber der isländischen Küstenwache hatte zwei Männer vom Gletscher geholt, von denen es hieß, dass sie einen Unfall gehabt hatten. Bei der Küstenwache wusste man, dass die Verteidigungstruppen in Keflavík nicht auf den Notruf wegen dieser Männer reagiert hatten. Bei der Flugleitzentrale in Reykjavik war man über die Flüge der Pavehawk-Helikopter informiert. Im Radio war die Bevölkerung wegen eines angeblich bevorstehenden Vulkanausbruchs alarmiert worden.
    Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis all diese Informationen in die entsprechenden Kanäle gelangten, und wenn man sie erst miteinander in Verbindung bringen und Schlüsse daraus ziehen würde, wäre das Komplott des Schweigens unmöglich weiter 258

    aufrechtzuerhalten.
    Das einzig Wichtige war jedoch, das Flugzeugwrack und seinen Inhalt außer Landes zu bringen. Was danach passierte, spielte im Grunde genommen keine Rolle mehr. Wenn die Soldaten erst wieder zum Stützpunkt zurückgekehrt waren, konnte sich der Admiral nach Belieben irgendwelche Lügen ausdenken, weshalb amerikanische Soldaten auf dem Gletscher gewesen waren. Man würde so lange jede Menge irreführender Informationen in die Welt setzen, bis alles, was die militärischen Aktionen betraf, als reine Spekulation abgetan würde. Man musste auf Empörung, Proteste und Animositäten gefasst sein, aber das würde nur ein Sturm im Wasserglas sein, wie immer bei dieser Nation, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie die amerikanischen Truppen im Lande haben wollte oder nicht.
    Vytautas Carr zerbrach sich wegen der zu erwartenden Reaktionen nicht den

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