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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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erlaubte, ihm in seinem dicken Wintermantel auf die Schulter zu tippen. Carr zuckte zusammen.
    »Hier ist jemand, der nach Ihnen sucht, Sir«, sagte der Mann, der eine Uniform der amerikanischen Luftwaffe trug. Carr kannte ihn nicht.
    »Was?«, fragte Carr.
    »Er ist aus den Staaten herübergekommen, um Sie zu treffen«, wiederholte der Mann.
    »Um mich zu treffen?«
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    »Er ist vor fünfzehn Minuten gelandet«, sagte der Mann.
    »Mit einer normalen Verkehrsmaschine. Ich sollte Ihnen Meldung erstatten.«
    »Wer will mich treffen?«, fragte Carr.
    »Miller«, war die Antwort.
    »Miller?«
    »Genau. Captain Miller ist hier, um mit Ihnen zu reden. Er ist vor fünfzehn Minuten gelandet, mit einem Zivilflugzeug.«
    »Miller? Hier? Wo ist er?«
    »Er wollte Sie unverzüglich sehen, deswegen haben wir ihn hierher zum Hangar gebracht«, sagte der Mann und warf einen Blick hinter sich in den Hangar. Als Carr sich umdrehte, öffnete sich eine Tür, durch die Miller hereintrat. Er trug einen dicken grünen Anorak und eine Pelzmütze, sodass man nur wenig von seinem mageren, leichenblassen Gesicht erkennen konnte. Carr ging rasch auf ihn zu.
    »Was soll das?«, rief er, als er noch etwa zehn Meter von Miller entfernt war. »Was hat das zu bedeuten? Was machst du hier?« Er konnte Millers Antwort erst verstehen, als er dicht an ihn herangetraten war. Sie schauten sich in die Augen.
    »Immer noch dieselbe klare, frische Luft«, sagte Miller. »Die habe ich nie vergessen können.«
    »Was geht hier eigentlich vor?«, fragte Carr. Er blickte die drei in Zivil gekleideten Geheimdienstler an, die Carr auf Schritt und Tritt begleiteten und Miller zu ihm gebracht hatten.
    »Reg dich nur nicht auf«, sagte Miller. »Ich wollte schon immer zurück nach Island. Hab mich danach gesehnt, noch einmal diesen kalten Sauerstoff einzuatmen.«
    »Sauerstoff? Wovon redest du eigentlich?«
    »Sei so nett und lass uns zur Tür gehen«, sagte Miller. »Nur wir beide, die anderen können hier solange warten.«
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    Carr schaute Miller eine Weile an und drehte sich dann um.
    Langsamen Schritts näherten sie sich dem riesigen Tor des Hangars. Dort blieben sie stehen. Ein großes Gebläse kämpfte damit, die winterliche Kälte einigermaßen in Schach zu halten.
    »Als ich nach dem Krieg zum ersten Mal nach Island kam«, sagte Miller, »vor einem ganzen Menschenalter, wollte ich meinen Bruder treffen. Ich hatte ihn auf diese Mission geschickt, und ich wollte ihn in Empfang nehmen, wenn er mit den Deutschen in Reykjavik landete, und dann mit ihm zusammen weiterfliegen. So hatte ich es geplant. In gewissem Sinne weiß ich, dass es unsinnig ist, aber ich gebe mir die Schuld an dem, was mit ihm geschah. Ich habe ihn aus purem Eigennutz zu dieser Mission überredet. Ich wollte ihn aus dem unmittelbaren Kriegsgeschehen herausholen. Das hat sich bitter gerächt, denn stattdessen starb er hier am Ende der Welt. Kam entweder bei dem Absturz ums Leben oder im ewigen Eis. Wir haben es nie in Erfahrung bringen können. Ich habe nie Gewissheit gehabt.
    Wegen dieser absurden Operation, auf die man sich niemals hätte einlassen dürfen.«
    »So what?«, fragte Carr ungeduldig.
    »Du hast nichts mehr von dir hören lassen. Was habt ihr da oben auf dem Gletscher gefunden? Habt ihr die Leichen gefunden? Wie ist ihr Zustand? Wisst ihr, was passiert ist? Um Gottes willen, sag mir, was Sache ist.«
    Carr starrte auf seinen ehemaligen Vorgesetzten.
    »Fast alle unversehrt«, erklärte er. »Auch dein Bruder. Sie wurden über die ganzen Jahre hinweg im Eis konserviert.
    Anscheinend war die Bruchlandung nicht das Problem. Sie mussten einen Brand löschen, aber der war nur geringfügig. Wie du weißt, tobte ein Orkan, als sie abstürzten, und sie wurden in kürzester Zeit von den Schneemassen begraben und in der Maschine eingeschlossen. Das spielt keine Rolle. Selbst wenn sie sich hätten befreien können, die Kälte hätten sie doch nicht 263

    überlebt. Es gab keine Anzeichen eines Kampfes. Sie sind wahrscheinlich einer nach dem anderen erfroren. Sie trugen alle Ausweise bei sich, und unseres Wissens fehlt nur einer. Von Manteuffel war nicht an Bord und auch nicht in der Nähe des Wracks.«
    »Und das bedeutet?«
    »Es könnte bedeuten, dass er versucht hat, Hilfe zu holen.
    Versucht hat, bewohnte Gebiete zu erreichen.«
    »Er ist nirgendwo aufgetaucht.«
    »Nein. Ich bin sicher, dass wir uns seinetwegen keine Gedanken zu machen brauchen.«
    »Er ist irgendwo unterwegs

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