Gletscherkalt - Alpen-Krimi
und war dann durch diesen Aufgang
hinausgelangt auf eine ganz andere Straße.
So war er unbemerkt verschwunden.
»Nein«, sagte Schwarzenbacher noch einmal zu Ellen. »Noch ist
nichts passiert. Aber die ganze Sache spitzt sich zu.« Er berichtete Ellen vom
Stand der Dinge.
»Ich möchte jedenfalls jetzt nicht ins Hosps Haut stecken«, sagte er
zum Schluss. »Es ist wieder mal so, wie ich es selbst oft erlebt habe und wie
es die Polizeiarbeit meist mit sich bringt: Man ist fast immer einen Schritt
hinterher – und das auch nur, wenn man Glück hat. Oft mehrere Schritte. Und
immer, wenn man wieder irgendetwas greifen zu können glaubt, entwindet es sich
und ist schon wieder davon. Glaub mir, meine Liebe, das zermürbt.«
Ellen nickte verständnisvoll. Sie spielte diese Rolle gut. Denn in
ihrem Inneren war ihr bewusst, dass Schwarzenbacher jetzt nur allzu gern in
Hosps Haut gesteckt wäre.
Sie spürte sein Jagdfieber. Und sie spürte auch seinen Neid auf den
Kollegen, der laufen, arbeiten und einfach nur leben konnte.
»Gib mir das Telefon noch mal. Bitte«, sagte er. »Ich muss Marielle
anrufen. Möchte mit ihr reden. Ich habe so das Gefühl, dass wir sie bald mal
wieder brauchen.«
*
Hellwage kauerte am Boden, die Hände gefesselt, die Fußknöchel
gefesselt, er war bei Bewusstsein, jedoch befand er sich in einem erbärmlichen
Zustand.
Der Mann kam von draußen ins Haus und sagte: »Halbe Stunde um. Will
jetzt Namen. Ich hoffe, dass dir eingefallen ist.«
Hellwage rappelte sich ein bisschen hoch. Er keuchte und stöhnte
dabei. Als er dann zu sprechen begann, bereitete ihm jedes Wort Schmerzen in
der Brust.
»Ich habe nachgedacht … ja, habe intensiv nachgedacht … Wenn mich
meine Sinne nicht trügen, ist mir eingefallen, wer der Mann war …«
Diese wenigen Worte hatten ihn so angestrengt, dass er schwer atmend
erst wieder Kraft schöpfen musste. Der Mann ließ sich auf die Bank beim Tisch
fallen und wartete einfach nur ab.
»Ich muss Sie aber auch fragen …«, fuhr Hellwage angestrengt fort,
»… was geschieht mit mir, wenn ich Ihnen den Namen sage? … Lassen Sie mich
frei? … Ich kann Ihnen …«
Wieder musste er mühsam Atem holen, ehe er sein Fragen fortsetzen
konnte.
»Ich kann Ihnen versichern«, sagte er dann, »dass ich diese
Angelegenheit als nie stattgefunden betrachte, wenn Sie verschwinden und mich
in Ruhe lassen.« Während er das sagte, dachte er »am Leben lassen«. Doch er
sprach es nicht aus. Er hatte Angst, diesen gewalttätigen Menschen damit erst
auf die Idee zu bringen, ihn schließlich zu töten.
Der Mann am Tisch schwieg. Hellwage starrte ihn an, versuchte
verzweifelt, an seiner Mimik abzulesen, welches Schicksal ihn erwartete. Und
der Mann starrte zurück, schweigend, rauchend.
Es war das erste Mal, dass Hellwage den Mann rauchen sah. Er zog an
der Zigarette, atmete den Rauch hörbar und tief, ganz tief ein. Das wiederholte
sich einige Male, bevor er die Kippe auf der Tischplatte ausdrückte.
Dann stand der Mann auf und trat die paar Schritte an Hellwage heran
und sah mit einem spöttischen Grinsen auf ihn herab.
»Glaubst du, kannst Bedingung stellen?«, hörte er ihn sagen.
»Keine … keine Bedingungen«, keuchte Hellwage. »Nur Fragen … nur
Bitten …«
Er sah flehentlich zu dem Mann empor. »Ich kann Ihnen auch Geld …
ich meine, wenn Sie Geld brauchen …«
Der Mann ging vor ihm in die Knie. Er hielt sich die Nase zu.
»Du stinkst. Stinkst wie Schwein. Sollte dich mit Messer stechen wie
Schwein.«
Er stand wieder auf, entfernte sich ein paar Schritte und sagte, mit
dem Rücken zu Hellwage, einfach in den Raum hinein: »Du gibst mir Namen. Jetzt.
Oder ich mach, was man mit Schwein macht. Verstehst?«
8
»Ich habe mit Reuss telefoniert«, sagte Schwarzenbacher zu
Marielle. Sie hatten sich im »Café Central« verabredet, und Schwarzenbacher war
sauer gewesen, weil er vergessen hatte, dass fünf Stufen überwunden werden
mussten, um hineinzugelangen. Ellen und Marielle hatten ihm geholfen – und so
etwas war ihm verdammt peinlich.
Und wenn ich hundertmal ein Krüppel bin – ich will keiner sein,
waren seine bitteren Gedanken gewesen. Und er hatte inständig gehofft, keiner
jener Gauner, die er vor langer Zeit hinter Schloss und Riegel gebracht hatte
und die mittlerweile wieder frei waren, würde sehen, wie elendig es ihm jetzt
erging.
»Er steht für die Kosten gerade. Habe auch nichts anderes erwartet.
Es wäre also gut, wenn du mit Pablo nach
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