Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
Vom Netzwerk:
sinnierte, was dieser Kurth für ein Mensch sein könnte. Was er
von Beruf war, ob er Frau und Kinder hatte, ob er den Ausweis vermisste, ihn
verloren glaubte oder gestohlen.
    Was geht es mich an?, fragte er sich. Er ist nicht mein Problem.
    Sein Problem, seine Aufgabe war, Tinhofer zu finden.
    Noch hatte er keine Ahnung, wo er suchen sollte.
    »Die Erbswurst!«, rief der Wirt aus der Küche. Und der Mann, der
hier Paul Kurth hieß, stand auf und trug den vollen Teller vorsichtig zu seinem
Tisch.
    »Einen Guten!«, sagte jemand vom Nebentisch zu ihm herüber.
    Paul Kurth nickte. Jetzt hatte er wirklich Hunger.
    *
    Sie trafen sich im Hofgarten, Schwarzenbacher und Hosp, und sie
genossen den milden Abend, nachdem der Tag grau und eher unfreundlich gewesen
war.
    »Wir hätten uns auch im Gastgarten vom ›Innrain‹ treffen können«,
murrte Schwarzenbacher. »Hätte durchaus Lust auf ein Bier.«
    »Können wir immer noch«, sagte Hosp. »Ursprünglich wollte ich zu dir
nach Hause. Jazz hören nebenbei. Und mir vielleicht wieder mal eine Scheibe
ausleihen, um mir daheim eine Kopie zu brennen.«
    »Ist illegal«, sagte Schwarzenbacher, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Red doch keinen Scheiß«, gab Hosp mit dem Anflug eines Lächelns
zurück. »Ich möchte erst einmal nur an der Luft sein. Nicht in der Wohnung,
nicht am Biertisch. Hier, zwischen all dem Grün. Die Geschichte mit dem
kauzigen Alten und dem Reifenhändler nimmt mir immer mehr den Atem.«
    Schwarzenbacher zog fragend eine Augenbraue hoch.
    »Schau nicht so«, sagte Hosp. Ein großer Hund, der niemandem zu
gehören schien, spazierte an ihnen vorbei und pisste an die nächste gelbe
Parkbank.
    »Scheißköter«, sagte Schwarzenbacher.
    Dann herrschte für geraume Zeit Stille. Hosp ging langsam auf den
Parkwegen dahin, Schwarzenbacher rollte im selben Tempo neben ihm her. Die
letzten Tage hatten ihm auch körperliche Energie zurückgebracht; bisweilen
schaffte er es, wieder allein in seinem Rollstuhl unterwegs zu sein.
    »Es gibt solche Fälle«, fing Hosp dann irgendwann zögerlich an, »die
einem das Gehirn lähmen. Du kennst das bestimmt: Die Gedanken werden irgendwie
zähflüssig. Die ganze Arbeit wird zähflüssig. Und alles bleibt ungreifbar …«
    »Es ist, als ob du in einem großen Fluss treiben würdest und
nirgends Halt fändest«, sagte Schwarzenbacher. »Oh ja, das kenne ich gut.
Dauernd ereignet sich etwas, aber immer dort, wo du nicht bist. Manchmal ganz
in deiner Nähe, aber du kommst nicht hin, weil du oder die Geschehnisse vom
Fluss davongetragen werden. Dir geht es jetzt also mit dieser Geschichte so?«
    Hosp nickte. »Spiss ist tot. Wir glauben an Selbstmord, dann zeigt
sich, dass es ein Mord war. Eine Minimalspur führt zu diesem verrückten
Manczic, der anscheinend nicht mehr aus seiner Wohnung geht – ich lasse ihn
rund um die Uhr überwachen, auch wenn er als unmittelbarer Täter nicht in Frage
kommt. Dann rückt dieser Hellwage in den Blickpunkt, und kein Mensch scheint zu
wissen, wo er sich aufhält. Du siehst, es schwimmt etwas auf einen zu – und
treibt dann doch vorbei und davon.«
    Schwarzenbacher nickte und sagte: »Kann dich gut verstehen. Und
dennoch wäre es mir lieber, wir würden irgendwo noch ein Bier trinken gehen …«
    Da fing Hosp an zu lachen.
    »Was gibt’s da zu lachen?«
    »Es ist einfach komisch … und sei mir jetzt bitte nicht böse … wenn
du davon redest, dass wir irgendwohin gehen. Du und gehen … Du bist schließlich
der bekannteste Rollwagerl-Pilot von ganz Innsbruck.«
    Schwarzenbacher sah Hosp ernst und durchdringend an. So lange, bis
der zu lachen aufhörte, und länger noch, bis jedes kleinste Lächeln aus dem
Gesicht des Kommissars verschwunden war. Dann erst, aber auch wirklich dann
erst, begann Schwarzenbacher selbst zu lächeln. Und er dachte: Es ist schon
sonderbar, dass mein Selbstmitleid aufhört, wenn ein anderer ganz ohne Mitleid
ist.
    »Komm«, sagte er, »gehen wir ins ›Innrain‹. Ich lad dich ein auf ein
Bier. Vielleicht sogar auf zwei. Aber du musst mich schieben. Ist ja ein ganz
ordentlicher Weg bis dorthin.«

9
    »Den kennt man doch!«, ereiferte sich eine ältere Frau im
Kramerladen im Dorf Lajen, das malerisch auf der Bergschulter lag, die
südwestlich ins Eisacktal ragte und ostwärts ins Grödnertal.
    »Das ist doch der Deutsche …«
    »Schmarrn«, sagte die Kassiererin, die mit mehreren Kunden über ein
Foto in der aufgeschlagenen »Dolomitenzeitung« debattierte. »Ein

Weitere Kostenlose Bücher