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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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Er konnte sie förmlich riechen. Sogar
Zivilfahrzeuge der Polizei erkannte er: Sie wurden anders gefahren, und nachts
flackerten die Scheinwerfer. Ob es Einbildung war? Oder Magie? Es war ihm immer
egal gewesen. Er hatte es nie darauf ankommen lassen und sich schnell
verdrückt.
    Diesmal nicht. Er sah einen von ihnen in einem geparkten Wagen
sitzen. Der las in einer Zeitschrift und schaute kurz auf, als er daran
vorüberging. Der andere fegte den Kehricht am Fahrbahnrand, Laub,
Zigarettenkippen, Papiertaschentücher, eine Red-Bull-Dose, so Zeug.
    Arschloch. Denkst du dir, bist Straßenkehrer. Polizist bist du. Sehr
schlechter Schauspieler.
    Wie zufällig ging er durch die Straße, betrat an der Ecke eine Trafik,
kaufte ein Päckchen Pfefferminzbonbons und den »Tiroler Stern« und trat dann
ganz gelassen wieder ins Freie.
    Der Straßenkehrer nickte ihm jetzt sogar zu, als er an ihm
vorbeiging. Die Vorhänge an Manczics Fenster waren zugezogen. Ob er in seiner
Wohnung war oder ob die Polizisten auf seine Rückkehr warteten, war an dieser
Situation nicht zu eruieren. Doch er hatte sich immerhin ein Bild gemacht und
die Überzeugung gewonnen, dass er in der Tat gut beraten war, keinerlei Kontakt
zu seinem Auftraggeber zu suchen.
    Er wusste, was zu tun war.
    Er fuhr über den Zirler Berg nach Seefeld und weiter nach
Scharnitz. Den Wagen parkte er zwischen anderen am Wiesenparkplatz, der für die
Brunnsteinhütte ausgewiesen war. Alles, was er brauchte, hatte er in seinem Rucksack:
Anorak, T-Shirts, Sonnenbrille, Fotoapparat, Hüttenschlafsack, Geldbeutel, eine
leere Trinkflasche, seine Pistole und den AV -Ausweis.
    Er überquerte die Bundesstraße und folgte den gelben Wegweisern.
Bald endete der etwas eintönige Forstweg und ging über in einen schmalen, gut
angelegten Bergsteig.
    Er war beunruhigt wegen des roten Zettels in der Kirche. Er musste
herausfinden, was mit Manczic geschehen war, warum ihn die Polizei überwachte,
warum er sich zum vereinbarten Treffpunkt begeben und den warnenden Zettel
dorthin gehängt hatte. Die Idylle des alpinen Mischwaldes nahm er nicht wahr.
Die Farbspiele des Laubes der Ahorne und der frischen Nadeln der Lärchen nahm
er nicht wahr. Es war ihm auch egal. Nach einer knappen Stunde Aufstieg sah er
einen uralten Ahorn, einen Baum mit bestimmt Hunderten von Jahresringen,
schweren Ästen, die wie verkrüppelt erschienen, der Stamm schwarz und vernarbt
und vermoost. Vielleicht hätte ein anderer Wanderer gedacht: Sieht aus wie eine
Märchengestalt, verzaubert, verwunschen, mystisch und schön. Er aber dachte so
etwas nicht. Er erinnerte sich an einen Baum in Serbien. Im Hintergrund ein
einsames Gehöft. Ein Köter, der in seinem Blut lag. Gestank. Rauch, der
urplötzlich aus den Dachfenstern aufstieg. Nur Rauch zuerst, dann Flammen.
Seine Kameraden leisteten ganze Arbeit. Die Bewohner waren drinnen im Haus, und
von außen wurden die Türen verbarrikadiert und die Fensterläden.
    Die Schreie drangen zu ihm herüber. Wahrscheinlich war es ein Sohn
der Leute dort drinnen, der ihm noch in die Arme gelaufen war. Plötzlich war er
da gewesen, von irgendwoher, aus dem Gebüsch oder aus dem nahen Wald
aufgetaucht.
    Du Idiot, hatte er gedacht, warum kommst du angelaufen? Die hätten
ohne dich verrecken können.
    Bestimmt war der Junge nicht älter als fünfzehn. Dünn war er und
schmal an den Schultern.
    Auf einmal war er dagestanden und hatte ihn aus großen,
furchterfüllten Augen angestarrt.
    Er hatte ihn einfach niedergeschlagen. Niemand bleibt, der berichten
könnte. Die Devise war unverbrüchlich.
    Er hatte dem Jungen einen Strick um den Hals gebunden und das Seil
über einen der dicken Äste des Baumes geworfen. Das Licht, das dabei durchs
Laub gefallen war und das der Umgebung einen zartgrünen Schleier verliehen
hatte, unterschied sich gar nicht sehr von dem, das hier am Fuße des
Karwendelgebirges vorherrschte.
    Er blieb stehen, atmete die würzige Luft tief ein, sah hinüber zu
den waldlosen Flanken der Arnspitzen und hinauf ins Geäst des Baumes.
    Der Junge war zu sich gekommen, noch ehe er ihn mit dem Seil in die
Höhe gezogen hatte. Sein Schreien war kurz gewesen. Die Füße einen halben Meter
über dem Boden, hatte er nur mehr geröchelt.
    Er mochte diese Erinnerungen nicht. Der Junge tat ihm leid,
irgendwie. Wäre er nicht angerannt gekommen …
    Es war Krieg, dachte er. Krieg hat eigene Gesetze.
    Eines hieß: Nie erkannt werden, nie Zeugen hinterlassen. Ein
anderes: Der Junge von

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