Gletscherkalt - Alpen-Krimi
schon«, sagte Marielle. »Ob legal oder weniger legal, das
muss uns nicht kümmern. Wichtig ist doch nur, dass einer von beiden oder beide
zusammen diesen Fall lösen. Und zwar schnell, bevor der Mann noch
weitermordet.«
Pablo setzte sich jetzt im Schneidersitz genau gegenüber. Ihre
schönen, runden, nicht allzu großen Brüste waren in der Reichweite seiner Hände.
Doch auch, wenn er die Augen nicht abwenden konnte, so nahm er sie doch nicht
wirklich wahr. Er schaute durch Marielle hindurch, vertieft in die Gedanken und
in das Gespräch mit ihr.
»Hast du dich jemals gefragt, warum du von einem Mann als Täter ausgehst?
Könnte doch eine Frau gewesen sein. Oder mehrere Männer. Oder ein Mann und eine
Frau. Vielleicht liegst du da ganz falsch.«
»Glaube ich nicht!« Es kam wie aus der Pistole geschossen.
»Natürlich könntest du recht haben. Und logisch ist es nicht von mir, mich auf
diesen Einzeltäter zu versteifen. Es ist mehr so eine Intuition. Eine Frau
war’s nicht. Die hätte den Unternehmer nicht an den Baum hängen können. Und sie
hätte wahrscheinlich auch nicht mit dieser männlich-brachialen Gewalt getötet
wie im Fall des Redakteurs. Ich glaube, dass es sich um einen bezahlten Killer
handelt. Bezahlt von diesem Alten mit dem Namen, den ich mir nicht merken kann …«
»Manczic.«
»Ja, so heißt er. Der zahlt und rächt sich mit den Morden für den
Tod seiner Tochter. Das wirklich Unglaubliche ist der Sadismus, mit dem der
Täter vorgeht. Einen Auftragskiller habe ich mir anders vorgestellt. Als einen,
der kurz und prägnant hinrichtet. Eine Kugel in den Kopf und Schluss.«
Pablo grinste. »Du meinst, so wie man das aus dem Fernsehen kennt,
oder?«
Sie sah ihn zweifelnd an. Er hatte ja recht. Und dennoch: Warum
hatte Hellwage derart grausam sterben müssen?
»Glaubst du, dass ein Auftragskiller mit Emotionen tötet? Dass der
irgendein Interesse daran hat, jemanden zu quälen? Der will doch nur seinen Job
erledigen, schnell und ohne Spuren zu hinterlassen. Der hält sich nicht damit
auf, jemanden zu quälen. Der bleibt nicht länger, als unbedingt nötig ist.«
»Außer wenn er irgendwelche Informationen bekommen will. Hat das
nicht Schwarzenbacher bei unserem Treffen gesagt? Ist doch plausibel.«
»Es erklärt aber nicht, warum er den Mann dann nicht erledigt hat,
als er die Informationen hatte. Oder als er merkte, dass er keine Informationen
bekommen würde. Eine Kugel in den Kopf und Schluss. Das wäre plausibel.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Pablo. »Und ich will mir darüber wirklich
nicht allzu viele Gedanken machen. Wahrscheinlich handelt er im Sinne seines
Auftraggebers. Aber ich will mir die Stimmung nicht damit verderben, indem ich
dauernd an dieses Arschloch denke.«
Marielle zog die Bettdecke zu sich heran und wickelte sich darin
ein. Ihr war kalt, obwohl es im Zimmer warm war.
»Ich habe Angst, einfach Angst. Ich fürchte mich vor dem, was als
Nächstes passiert.«
»Und wenn nichts passiert? Einfach gar nichts?«
Sie schüttelte energisch Kopf. »Ich glaub nicht mehr ans
Christkind«, sagte sie.
*
Tinhofer stapfte über den Gletscher. Er war allein, hatte
niemanden, der ihn ans Seil hätte nehmen können. Wenn er in eine Spalte stürzen
würde, wäre das wahrscheinlich das Ende für ihn.
Er hatte diese Möglichkeit immer wieder in Betracht gezogen. Hatte
die Gletscherfläche, der er seine fotografische Aufmerksamkeit widmen wollte,
von seinem Biwakplatz aus genau studiert. Er hatte sich die gefährlichen
Spaltenzonen explizit eingeprägt und überprüft, wo ihm von oben, aus den sich
über dem Gletscher aufsteilenden Felsflanken, Steinschlaggefahr drohen würde.
Das Licht war so, wie er es wollte. An diesem Nachmittag ging es ihm nicht um
die große Schönheit des Gebirges, es ging ihm vielmehr um die Details.
Im Rucksack hatte er lediglich seine Fotoausrüstung und eine
Trinkflasche. Den Eispickel und die Steigeisen hatte er an den Außenlaschen
befestigt. Alles andere ließ er an seinem Schlafplatz zurück. Nach einer
Viertelstunde Abstieg erreichte er den Gletscher. Er schnallte die Steigeisen
an und begab sich auf die weiße Firn-und Eisfläche. Die Oberfläche, erwärmt von
der hochstehenden Sonne, gab unter seinen Schritten nach, der Schnee war
angeschmolzen und das Vorankommen mühsamer als in den Morgenstunden. Problem
war das keines. Er hatte keine lange Wegstrecke, keinen anstrengenden Aufstieg
vor sich. Er wollte nur hinüberqueren bis in den markanten
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