Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Wahrscheinlich stammen die Schweine aus
Notschlachtungen. Die Panade schmeckt nach altem Fett. Und wenn Sie sich mit
dem Hausel nicht gut stellen – das ist der Häftling, der Ihnen den
Gefängnisfraß in die Zelle bringt –, wenn Sie den also zum Gegner haben, dann schmiert
er Ihnen noch seinen Nasenrammel aufs Schnitzel, bevor er Ihnen den Teller in
die Zelle reicht. Guten Appetit kann ich da nur sagen.«
»Sie … sie ist … tot?«, stammelte Manczic. »Das kann doch nicht
sein. Das darf nicht sein.«
Wasle sah, dass dem Mann der Schweiß auf die Stirn trat, sah, wie
seine Hände zu zittern begannen, wie er fahl im Gesicht wurde, die Fassung
vollständig verlor. Das war der richtige Zeitpunkt, um ihm den entscheidenden
Schlag zu versetzen.
»Sie haben noch mehr am Herzen. Ich weiß es. Und Sie sollten gleich
hier reinen Tisch machen. Für Sie ist alles gelaufen, das können Sie mir
glauben. Sie haben den Unternehmer Spiss auf dem Gewissen und den Journalisten
und Zeitungsmann Hellwage. Sie haben es jetzt in der Hand, Ihr Gewissen zu
erleichtern. Und ich bitte Sie um eines: Sorgen Sie dafür, dass nicht noch mehr
passiert.«
13
Am Nachmittag, zu einer Zeit, da das Hochgebirge für diesen Tag
wieder völlig menschenleer war, alle Bergsteiger auf den Hütten oder zurück im
Tal waren, als sich jenseits der Zweieinhalbtausend-Meter-Marke wirklich nur
mehr der Fotograf Tinhofer aufhielt, passierte das Unglück.
Er hatte für sich entschieden, noch eine halbe bis Dreiviertelstunde
im kalten Licht beschatteter Spaltenzonen zu arbeiten, düstere Einblicke in die
eisige Unterwelt zu fotografieren, bevor er dann zu seinem Schlafplatz in den
Felsplatten zurückkehren würde. Er hatte Appetit bekommen, würde sich eine
Suppe machen – natürlich nur ein Instantgericht aus dem Päckchen, aber er war
ja nicht anspruchsvoll –, außerdem wollte er reichlich Schnee schmelzen, um
genügend Wasser für eine große Portion seines griechischen Bergtees zu haben.
Vielleicht war es der Appetit, vielleicht war es die Vorfreude auf den stillen,
einsamen Abend, die ihn unkonzentrierter werden ließen, und wenn schon nicht
unkonzentrierter, so doch weniger instinktsicher.
Es geschah an einer Stelle, die er als absolut gefahrlos erachtete,
wo das Eis des Gletschers flach dahinfloss, wo weder starke Mulden noch
markante Geländeaufschwünge auf Spaltenbildungen im Eis hinwiesen, wo er sich
eigentlich gar keine Gedanken machte.
Tinhofer stapfte übers Eis. Ein wenig müde, aber auch sehr zufrieden
mit seiner fotografischen Ausbeute. Die meisten Leute machen sich ja gar keine
Vorstellung, wie müde man vom Fotografieren werden kann, dachte er. Immer
höchste Aufmerksamkeit, immer hohe Konzentration, die Wahrnehmungsfähigkeit und
die Augen ermüden – und abends um acht liege ich dann so kaputt im Schlafsack,
als wäre ich auf zwei Dreitausender gestiegen.
War es diese Müdigkeit, die das Ihre zu dem Unglück beitrug?
Die gegenüberliegenden Berge warfen länger werdende Schatten auf die
Gletscher. Immer wieder nahm er seine Gletscherbrille ab, um dieses
Naturschauspiel ganz ungefiltert betrachten zu können. Den Fotoapparat ließ er
in der Tasche – von diesen Motiven, so wunderschön und bizarr sie auch waren,
hatte er im Lauf seiner hochalpinen Exkursionen schon mehr als genug
eingefangen.
Ein bisschen abgelenkt war er auch durch die Gedanken an sein Buch:
Sein Gehirn jonglierte mit den Bildern, die er schon auf dem Computer
gespeichert hatte und die nur mehr einer behutsamen Nachbearbeitung bedurften,
und mit den Bildern, die er noch fotografieren wollte. Er streute sie auf
imaginäre Buchseiten, stellte sie neben-und untereinander, brachte strahlendes
Licht in Opposition zu Nachtaufnahmen und stellte Abbildungen grandioser
Schönheit solchen des Verfalls und Gletscherschwundes gegenüber.
Tinhofer war glücklich.
Bis morgen Nachmittag bleibe ich hier oben, dachte er. Dann steige
ich ab und fahre heim. Und er freute sich darauf, am Bildschirm die Ausbeute
seiner Jagd nach besonderen Motiven und besonderen Augenblicken eingehend
studieren zu können.
Dann brach die Schneedecke unter ihm ein.
Aus seinem Mund kam ein Laut, kurz und dem Geräusch eines Korkens,
der plötzlich aus dem engen Hals einer Weinflasche flutscht, nicht unähnlich.
Kein »Aaaahhhh«, kein »Iiiiihhhh«, nichts, was an Tod oder auch nur
Todesangst hätte denken lassen, nur so ein gepresstes »Uuhppp«. Dann war er
verschwunden, als hätte es ihn
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