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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan König
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nie gegeben.
    Tinhofer selbst erlebte die folgenden Sekunden so, als würde ihn das
alles nicht persönlich betreffen. Er spürte keinerlei Schmerz, empfand keinen
Schrecken.
    Es war ihm, als wäre er lediglich Augenzeuge des Geschehnisses. Er
war im Wortsinn außer sich, und er beobachtete seinen Sturz ins Verderben
gleichsam aus der Distanz. Als interessant vermerkte er, dass er keinerlei
Gefühle für sich selbst aufbrachte: kein Erschrecken, kein Mitleid, kein
Bedauern, nichts.
    Die Öffnung im Schnee war kaum größer als seine Hüften oder seine
Schultern. Die darunter verborgene Spalte war mit dem Auge nicht zu erkennen
gewesen; auch erfahrene Bergführer hätten sie nicht gesehen – aber vielleicht
hätten sie die Gefahr gespürt. Instinkt war das Zauberwort. Doch wenn man müde
oder mit seinen Gedanken woanders ist, dann schlafen die Sinne. Tinhofer war,
ohne es zu ahnen, auf eine sogenannte Schneebrücke gestiegen, die mit nicht
mehr als zwanzig Zentimetern Dicke den Abgrund überspannte.
    Die Schneedecke barst, als wäre er auf Styropor getreten. Ein
Geräusch wie ein gedämpfter Knall.
    Groß war sein Erstaunen darüber, dass in der Spalte, die bestimmt
fünfzehn oder gar zwanzig Meter in die Tiefe reichte, nicht Nacht herrschte. Es
war nicht dunkel, es war nicht schwarz. Die Wände der Spalte wirkten wie
poliertes Metall, bläulich schimmernd. Und irgendwie schienen sie auch lebendig
zu sein. Die Farben lebten, veränderten sich ständig, ins Blau mischten sich
weiße, graue, grüne und auch silbrige Töne, und Tinhofer, der auch als
Stürzender nichts empfand, keine Panik, keinen Schmerz, keine Verzweiflung,
hatte doch das Gefühl, dieses Farbenspiel sei schön und er habe das Glück,
dieses Naturwunder zu erleben.
    Einen Augenblick lang dachte er an seine Fotoausrüstung und welche
großartigen Bilder das gegeben hätte.
    Blau, wunderbares Blau, das durch die beinahe runde Öffnung in der
Schneebrücke Licht bekam und durch dieses Licht wie zum Leben erwachte.
    Tinhofer bemerkte, dass er mit der rechten Schulter gegen die rechte
Spaltenwand schlug, heftig, massiv. Kein Schmerz, überhaupt kein Schmerz. Nur
ein sehr deutliches und markantes Knacken.
    Es war jenem Geräusch nicht unähnlich, das er aus dem Haushalt
kannte: wenn seine Frau eine Minestrone bereitete, er die Gemüsezutaten
schnippelte, Karottenwürfel, Lauchringe, Bohnen – und wenn er vom
Staudensellerie eine knackige Stange abbrach. Ja, so klang es, als seine
Schulter brach: wie Staudensellerie.
    Er wurde von der rechten Spaltenwand an die linke katapultiert, sah
aus der Distanz, wie sich sein linkes Knie verdrehte und kurz darauf nur wenig
unter dem Gelenk zwei weiße Knochenspitzen aus Fleisch und Muskeln durch die
Berghose drangen.
    Erstaunt war er, wie wenig Blut dabei austrat.
    Er schlug im nächsten Augenblick irgendwo mit dem Kopf an, nicht
sehr stark, er schien das Eis mehr zu streifen, was freilich reichte, um ihm
zwei Platzwunden zuzufügen, eine am Hinterkopf links, eine zweite an der Stirn
über dem linken Auge.
    Warm, wohlig warm lief ihm das Blut, das aus der Stirnwunde trat,
ins Gesicht. Doch er hatte kaum Zeit, diesem Gefühl nachzuspüren. Im nächsten
Moment kam sein Sturz zum Ende. Noch einmal stieß er mit seinem Körper rechts
ans Eis, dabei riss es ihm ein Steigeisen vom rechten Schuh, das dabei noch die
spitzen Zacken in seine Wadenmuskulatur bohrte. Dann schlug er auf, weicher,
als er sich das je hätte vorstellen können, wurde in sich verdreht, kam mehr
seitlich als auf dem Rücken zum Liegen, konnte aber aus dieser Position das
Loch sehen, hoch über sich, wo er eingebrochen war und von wo das Licht in die
Spalte drang.
    *
    In Hosps Büro in der Kaiserjägerstraße herrschte aufgeregtes Durcheinander.
Der Fall lag jetzt klar, Manczic, der nebenan von Wasle weiter vernommen wurde,
hatte alles noch in Zweifel Stehende aufgedeckt. Sie hatten erfahren, dass es
sich bei dem Fotografen um Tinhofer handelte und dass der Mörder von Spiss und
Hellwage als Paul Kurth unterwegs war – falls er seine Identität nicht längst
wieder geändert hatte. Manczic hatte seinen Teil an den Morden eingestanden, er
hatte gefasst und sachlich von seinem über alle Jahre aufgestauten Hass
berichtet, über seine Rachepläne und deren späte Umsetzung.
    Er hatte keinerlei Unrechtsbewusstheit an den Tag gelegt, zumindest
nicht bei Hellwage und Spiss. So wie er das sah, hatten die beiden ihre Strafe
verdient.
    Hosp, der den Mann als

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