Glitzerbarbie
nicht, sondern steht auf. »Ich brauch erst mal ’nen Schnaps«, meint er und geht mit zittrigen Knien Richtung Schrank. Na, ich kann ihn verstehen, das muss man ja auch erst mal verkraften, dass man Vater wird! Ein Babylein in unserer Großfamilie. Ach Gottchen.
Mausis Redefluss ist nicht zu stoppen, sie erzählt, dass sie das Kind, wenn es ein Mädchen wird, Mireille nennen will (sie spricht den Namen so aus, wie er geschrieben wird) und wenn
es ein Junge wird, Leibold. Leibold? Ja, so hieß mal ein Lehrer von ihr in der Grundschule, der hat sie immer fünf Minuten früher aus dem Unterricht gehen lassen, weil sie ihren Bus sonst verpasst hätte, und nun will sie sich quasi mit der Namensgebung bei ihm bedanken. Ich werfe ein, dass es sich bei Leibold mit hundertprozentiger Sicherheit um einen Nachnamen handelt, woraufhin sie mich anglotzt und sagt: »Oh Mann ej, dann nenn ich ihn eben geilcool Westernhagen, den mag ich auch ääächt.« Ich gebe es dann auf.
Little Joe hat Kreislaufprobleme, er stützt sich an unserem Wohnzimmertisch ab. »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«, fragt Marius besorgt. Aber Little Joe schüttelt den Kopf und setzt daraufhin die Schnapsflasche (Himbeergeist, 58 % Alkohol) an, um sie halb leer zu trinken. Jetzt übertreibt er aber wirklich. »Also sag mal, freust du dich denn gar nicht?«, frage ich ihn. Little Joe schnaubt wie ein Hengst, der gleich ausschlagen wird.
»Jaaaa Mann ej, freu dich doch mal extreeem mit mir. Die andern machen das doch megamäßig aaauuuch«, jammert Mausi vorwurfsvoll.
Das Nächste, was ich höre, ist ein Schrei, der nichts Menschliches mehr an sich hat. Entsetzt renne ich zu Marius und verstecke mich hinter seinem Rücken. Little Joe steht in der Mitte des Raumes und brüllt. Gleich werden meine alten Weingläser in tausend Scherben zerspringen, gleich. Dann geht er zwei Schritte in unsere Richtung. Wir weichen mit Todesangst zurück; Little Joe sieht aus wie King Kong, der die weiße Frau sucht. »Du bist also schwanger!«, schreit er Mausi an.
»Ja Mann ej, ja!«, antwortet sie.
»Und könntest …!!!«, Luftholen. »Und könntest du mir dann bitte auch sagen, VON WEM ???«
Ach du Scheiße. Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los …
Mausi heult laut auf. »Na, von dir, ej, was glaubst du denn?«
»Das ist ja eine Unterstellung!«, meint Zladko, und Bob nickt. Marius gibt den beiden mit einer Handbewegung zu verstehen, dass es im Augenblick ratsamer ist, einfach zu schweigen.
» VON MIR ! VON MIR ! VON MIR !!! HA ! DASS ICH NICHT LACHE !!! SOLL ICH DIR WAS SAGEN ? SOLL ICH EUCH ALLEN WAS SAGEN ???« Einstimmiges Nicken. (Was hätten wir sonst tun sollen? Wir hätten es nicht überlebt.) Little Joe holt wieder Luft. » DANN SAG ICH ES ! ICH KANN KEINE KINDER ZEUGEN ! ICH BIN ZEUGUNGSUNFÄHIG !!! NOCH IRGENDWELCHE FRAGEN ???«
Mausi schielt jetzt so, dass nur noch das Weiße in ihren Augen zu sehen ist. »Was sagst du jetzt? WAS ?«, fährt Little Joe sie an. Mausi stampft mit dem Fuß auf. »Sag mal, spinnst du oder was? Wieso hab ich denn dann die ganze Zeit die Pille genommen?« Little Joe antwortet darauf nichts, sondern nimmt die Schnapsflasche und schleudert sie gegen unsere Vitrine. Alles auf der rechten Seite ist dann kaputt. Ist ja nicht schlimm. Es befand sich unter anderem nur ein roter Weinbecher, ein Geschenk des Zaren von Russland an Kaiser Wilhelm II ., darin. Kann man ja nachkaufen bei Karstadt.
Und dann fällt Little Joe einfach der Länge nach hin.
Wie auf Kommando bewegen wir uns plötzlich wieder alle und wuseln durch die Gegend. Gero wird panisch. »Wir brauchen einen Arzt, schnell, einen Arzt!«
»Unfug«, sagt Marius. »Das ist nur ein Kreislaufkollaps. Das kriegen wir auch so hin.« Er versorgt Little Joe.
Ich gehe zu Mausi mit den weißen Augen. »Sag mal, stimmt das?«, frage ich neugierig. »Bist du von jemand anderem schwanger?«
Mausi schüttelt den Kopf. »Nein, ganz sicher echt gar nicht!« Endlich kommt ihre Iris mitsamt Pupillen wieder zum Vorschein.
»Aber wenn Little Joe doch zeugungsunfähig ist, wie soll das denn gehen?«, hake ich nach. Mausi zuckt mit den Schultern. Sie steht ein wenig unter Schock.
Endlich kommt Little Joe wieder zu Bewusstsein. Hasserfüllt blickt er Mausi an, zieht den Freundschaftsring aus, den die beiden sich gekauft haben, und knallt ihn vor sie auf den Tisch. »Das war’s!«, sagt er böse zu Mausi, und zu uns: »Euch einen schönen Abend!« Spricht’s und verlässt
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