Glitzerbarbie
habe«, gibt Linda gleichgültig zu. »Es waren insgesamt vier.
Aber mit denen war ich nicht verheiratet. Scheißkerle.«
Wo ist eigentlich Marte Giffey-Rips, Helferin in allen Lebenslagen? Sie sitzt mit ihrem Kaftan auf dem Schoß eines Fast-Rentners, der aussieht, als bereue er seine präsenile Bettflucht, und hält sich an dessen Krawatte fest. Meine Füße schwellen an. Das ist immer so bei mir. In Extremsituationen bekomme ich Füße, die so groß werden wie die eines Menschen mit Elefantitis. Wenn ich Pech habe, werde ich die Schuhe nicht mehr ausziehen können, weil die Haut schon eins mit dem Leder geworden ist. Ich könnte Linda bitten, ein wenig Salzsäure auf die Verbindungsstellen zu kippen, aber ich habe Angst, dass sie es zu gut meinen könnte. Dann bräuchte ich nämlich auch keine Schuhe mehr. Ich habe auch plötzlich wieder Angst, Krampfadern
zu bekommen. Das ist bei uns in der Familie erblich. Alle Frauen haben Elefantitis-Füße und ab Mitte fünfzig Krampfadern. Man kann den Krampfadern vorbeugen, indem man die Beine nicht übereinander schlägt, aber daran denke ich nie. Aber ich habe ja noch ein wenig Zeit bis Mitte fünfzig. Wenn ich überhaupt Mitte fünfzig werde. Wenn das hier so weitergeht, können meine Freunde schon bei einem Steinmetz einen Termin machen und Herrn Brauser von der Allianz anrufen, dass meine Sterbeversicherung auszahlungsreif ist.
»Aber«, zischt Linda wieder und geht auf Tuchfühlung: »Das bleibt alles unter uns.« Sie darf auf gar keinen Fall merken, dass ich lüge. Ich nicke. Linda schaut mich an. »Wie bitte?«, fragt sie. Ich nicke wieder. Mein Herz klopft so laut, dass meine Halsschlagader mit Sicherheit pulsiert. »Warum geht denn Ihre Ader am Hals auf und ab?«, fragt Linda interessiert.
O Gott. »Na, das ist so spannend hier«, sage ich fröhlich.
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, lamentiert Linda, während sie langsam aufsteht und die Flasche mit der Salzsäure hebt.
Mein Leben zieht in Sekundenbruchteilen an mir vorüber. Ich sehe mich als Dreijährige an einem Zwieback verschlucken und weinen, als ich einen Luftballon auf der Kirmes in Gallenberg losgelassen habe. Ich sehe meinen Opa, der mir ein Kastanienmännchen bastelt und Holz in den Bullerofen nachlegt. Ich sehe meine Oma, die mich zum Abendessen ruft, und rieche den Geruch von frisch gemähtem Gras, wie er nur vor ihrem Haus zu riechen war. Ich sehe mich in der Schule, wie ich meine Mütze nicht absetzen wollte, damit niemand sehen konnte, dass ich meine Haare auf Befehl meiner Mutter raspelkurz habe schneiden müssen. Ich sehe …
Ein Tumult beginnt in Studio drei von Strawberry Entertainment. Zivilbeamte springen vor die Kamera und werfen Tücher über mich, Linda kreischt und spritzt mit Säure um sich, und
durch eine Wollritze sehe ich Menschen panisch durcheinander laufen. Der Einzige, der cool und gelassen reagiert, ist Dirk, der erste Kameramann. Ununterbrochen hält er die Kamera auf das Geschehen. Nach ungefähr sieben Monaten hat sich die Lage einigermaßen entspannt, und ich luge unter meiner Wolldecke hervor. Linda ist mit Handschellen gefesselt und wird abgeführt, und ich soll laut Sylvester mit der Sendung weitermachen. Das ist ja auch nur das dritte Mal in wenigen Wochen, dass ich mit Kriminellen konfrontiert werde.
Vor mir sitzt Urs Pleißner, der Mann der drei Worte.
Er sagt: »Ich habe Angst.«
Dann sagt er nichts mehr. Wir brechen die Aufzeichnung dann ab.
Sylvester reibt sich die Hände. »Das hat es ja noch nie gegeben«, feixt er. Alle Anwesenden im Raum nicken. Felix setzt zum wiederholten Mal die Champagnerflasche an. Meine Füße sind mittlerweile so dick wie Wassermelonen. Nie wieder werde ich einen Schritt laufen können. »Übermorgen ist die Ausstrahlung!
Das wird ein Fest, Carolin, ein Fest wird das, wir werden alle bei mir zu Hause zuschauen, ich muss gleich das Fest organisieren, Felix, rufst du meine Frau an wegen des Festes? Sie soll ein schönes Menü in Auftrag geben, ach, wird das ein Fest!«
»Ihr habt es also wirklich gut gefunden?«, frage ich zaghaft. »Gut? Du fragst, ob es gut war??? Carolin! Wir werden die Einschaltquoten des Jahrhunderts haben! Eine Mörderin auf frischer Tat ertappt! Einen Macho-Ehemann, der mit der Psychologin zusammen weint und tanzt!!! Das Handgemenge vor laufender Kamera!!! Das wird der Brüller!!! Sag sofort, dass das der Brüller wird, Felix!!!«
Felix nickt wohlwollend. »Im Erncht, Caro, dach war chuper!« Die
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