Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
Vom Netzwerk:
Besonderes zu tun zu haben. Offensichtlich war seine Anwesenheit in diesem Raum höchst überflüssig, da sich doch alles im Speisesaal nebenan abspielte. Vermutlich würden sie dort bald zum Fruchtpudding übergehen. Maybury fiel ein, daß seine Rechnung immer noch offenstand. Es herrschte peinliches, recht lang andauerndes Schweigen.
    Zu seiner größten Verwunderung war es Mulligan, die ihm schließlich seinen Kaffee brachte. Eine Tasse, nicht ein Kännchen, und die Tasse war so klein, daß Maybury - zum ersten Mal an diesem Abend - nichts gegen eine größere Portion einzuwenden gehabt hätte. Plötzlich kam ihm der Einfall, daß Kaffee trinken jenseits der Regeln dieses Hauses war, daß man mit ihm eine Ausnahme machte, für die er vermutlich auch noch extra zahlen mußte. Allerdings hatte er vermutet, daß Mulligan im Speisesaal beim Aufwischen helfen würde. Auch wirkte Mulligan nicht im geringsten schuldbewußt oder auch nur peinlich berührt.
    »Zucker, Sir?« fragte sie.
    »Ein Stück, bitte«, antwortete Maybury in Anbetracht der Größe der Tasse.
    Ihm entging nicht, daß sie, bevor sie den Raum verließ, einen flüchtigen Blick mit dem hübschen Burschen austauschte. Er war jung genug, ihr Sohn zu sein, und der Blick mochte alles oder nichts bedeutet haben. Während Maybury noch versuchte, das bißchen Kaffee zu genießen und die Gegenwart des Jungen, der sich wirklich langweilen mußte, zu ignorieren, öffnete sich die Tür zum Speisesaal, und die tragische Dame von der anderen Seite der Tafel trat ein.
    »Schließ’ bitte die Tür, ja« sagte sie zu dem Burschen. Der schloß die Tür, stand dann wieder herum, beobachtete sie.
    »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich zu Ihnen setze?« wollte die Dame von Maybury wissen.
    »Ganz und gar nicht.«
    Sie war wirklich bezaubernd in ihrer melancholischen Art, ihr Kleid in der Tat so kostbar, wie Maybury vermutet hatte - und in ihrer Haltung lag etwas, das man nur ›aristokratisch‹ nennen konnte. Maybury war derartige Personen, derartiges Auftreten nicht gewohnt.
    Sie setzte sich, und zwar nicht ans andere Ende des Sofas, sondern in dessen Mitte. Es fiel Maybury auf, daß Farbgebung und Stil ihrer Garderobe fast aussahen, als seien sie speziell auf die prächtige Ausstattung dieses Zimmers abgestimmt. Sie trug in sich verschlungene, orientalisch anmutende Ohrringe mit rosefarbenen, durchsichtigen Steinen, die wie rosa Diamanten erschienen (möglicherweise waren es sogar Diamanten), dazu silberne Schuhe. Ihr Parfum war schwer und unverwechselbar.
    »Ich bin Cécile Céliména«, sagte sie. »Guten Abend. Man sagt, ich sei mit dem Komponisten Chaminade verwandt.«
    »Angenehm«, sagte Maybury. »Ich bin Lucas Maybury, und der einzige Prominente in meiner Verwandtschaft, dessen ich mich rühmen kann, ist Solway Short. Er ist tatsächlich mein Cousin.«
    Sie gaben sich die Hände. Ihre war sehr weich und weiß, und sie trug zahlreiche Ringe, die Maybury echt und wertvoll erschienen, obwohl er das nicht genau beurteilen konnte. Um ihm die Hand zu geben, drehte sie ihren Oberkörper in seine Richtung.
    »Wer ist dieser Herr, den Sie erwähnten?« wollte sie wissen.
    »Solway Short? Der Rennfahrer! Sie müssen ihn aus dem Fernsehen kennen.«
    »Ich sehe nicht fern.«
    »Sehr vernünftig. Es ist fast immer Zeitverschwendung.«
    »Wenn Sie keine Zeit verschwenden wollen, warum sind Sie dann im Hospiz?«
    Der Bursche, der sie unablässig beobachtet hatte, trat nun unübersehbar von einem Bein auf das andere.
    »Ich bin hier, um zu Abend zu essen. Ich bin nur auf der Durchfahrt.«
    »Oh! Dann verlassen Sie uns wieder?«
    Maybury zögerte. Sie war attraktiv, und einen kurzen Augenblick lang wollte er gar nicht mehr fahren.
    »Ich glaube schon. Wenn ich meine Rechnung bezahlt und herausgefunden habe, wo ich Benzin herbekommen kann. Mein Tank ist fast leer. Ich habe mich verfahren, bin vollkommen vom Weg abgekommen!«
    »Viele von uns hier sind von ihrem Weg abgekommen.«
    »Warum sind sie hier? Was hat Sie hierhergeführt?«
    »Wir sind wegen des Essens und des Friedens und der Wärme und allem anderen hier.«
    »Ein riesiger Berg von Essen, wie mir schien.«
    »Das ist wichtig. Es stellt uns wieder her, könnte man sagen.«
    »Ich glaube kaum, daß ich in diese Gesellschaft passe«, sagte Maybury, um dann hinzuzufügen: »Und ich hätte geschworen, daß auch Sie nicht hierher gehören.«
    »Aber ganz sicher gehöre ich hierher! Weshalb zweifeln Sie daran?« Sie

Weitere Kostenlose Bücher