Glockenklang von Campanile
noch mehr Schätze. Ein Stapel Glückwunschkarten, die das neue Familienmitglied der Bartinis willkommen hießen, denn als das hatte die Familie sie gesehen. Sie würde eine Bartini werden und alles andere abstreifen, was sie je gewesen war. Sie hatten nie begriffen, dass sie es nicht so gesehen hatte.
Andere Frauen in ihrer Lage, ohne eigene Familie, wären froh über diese Chance gewesen und hätten sich nur zu gern in die Familie eingefügt.
Aber ich habe mich dabei einfach nicht wohl gefühlt, dachte sie verzweifelt. Ich fühlte mich schrecklich eingeengt.
“Warum müssen wir jeden Sonntag mit der Familie zusammen Mittag essen?”, hatte sie einmal gefragt, nicht lange nach der Hochzeit.
“Aber nur am Wochenende können wir alle zusammen sein”, hatte er erstaunt geantwortet. “Sie haben dich so gern bei sich.”
Noch mehr Glückwunschkarten kamen ins Haus, die ihr zur Schwangerschaft gratulierten. Und anschließend gut gemeinte, lustige Aufmunterungen, als es sich als falscher Alarm herausstellte.
“Warum musstest du es auch gleich herumerzählen?”, schimpfte sie böse mit Francesco. “Meine Regel ist nur eine Woche später gekommen. Ist das ein Grund, überall ein Baby anzukünden?”
“Ich wollte sie an unserem Glück teilhaben lassen. Und nun wollen sie dich trösten.”
Sie konnte ihm nicht sagen, dass sie keinen Trost brauchte. Der Gedanke, so schnell schon ein Baby zu bekommen, schnürte ihr förmlich die Luft ab. So war sie insgeheim erleichtert, dass sie nicht schwanger war. Aber das konnte sie Francesco nicht sagen, dazu war er viel zu sehr Familienmensch. Irgendwann wurde ihr klar, es gab so viele Dinge, die sie ihm nicht sagen konnte.
Sie wandte sich wieder dem Karton zu und fand einen kleinen Prospekt über
Bartini Fine Glass.
Er war für Touristen bestimmt und in mehreren Sprachen verfasst. Die englische Fassung wimmelte damals wie jene Speisekarte von Fehlern. Sie hatten sich halb kaputt darüber gelacht, und es hatte ihr Spaß gemacht, den Text zu korrigieren. Es war sozusagen ihr erster Job für Francesco.
Alles lief so einfach und glatt. Sie hatten alles geplant. Sie war Expertin für Glasprodukte, er Glashersteller. Sie würden wunderbar zusammenarbeiten können. Aber schon in der ersten Woche wurde ihr klar, er brauchte gar keine Glasexpertin. Er wusste bereits alles, was notwendig war, um hervorragendes venezianisches Glas in jahrhundertealtem Produktionsverfahren herzustellen.
Nützlich war sie für ihn nur, wenn sie seine Gäste unterhielt. Dann erwies sich ihr Wissen und Können als echter Schatz. Aber nicht einmal ein erfolgreicher Unternehmer hatte jeden Abend Geschäftsfreunde zum Essen. So war in der Zwischenzeit wenig für sie zu tun.
Mit Schreibarbeiten konnte sie ihm nicht helfen, weil sie kein Italienisch konnte. Aber sie war eine großartige Packerin. Sie packte ganz hervorragend. Allerdings war sie die Frau des Chefs, und die Leute zogen erst die Augenbrauen hoch und fingen dann an zu tuscheln. Also hörte sie mit dem Packen auf.
“Es wird besser sein, wenn du die Sprache lernst, Darling”, meinte Francesco dazu.
“Welche Sprache?”, wollte sie störrisch wissen. Es nervte sie, dass sie nicht gebraucht wurde. Das war sie nicht gewohnt. Ihr Leben lang hatte sie geschafft, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, und so war es schwer, mit einer solchen Situation fertig zu werden.
“Welchen Sinn hat es denn, Italienisch zu lernen”, erklärte sie gereizt. “Ihr sprecht doch alle nur euren venezianischen Dialekt.”
“Dann lern Venezianisch”, erwiderte er, und zum ersten Mal wirkte er ungeduldig mit ihr.
Aber das Venezianische machte ihr zu schaffen. In ihrer Unwissenheit hatte sie vermutet, es wäre ein Dialekt, der nur ein paar Worte etwas anders betonte. Aber dieser
Dialekt
erwies sich als eine fast völlig eigenständige Sprache, mit vielen
J
, einem Buchstaben, den ein gebildeter Italiener gar nicht kannte.
Es endete damit, dass sie nicht mehr in der Firma arbeitete, sondern stattdessen Sprachen lernte. Allem voran Italienisch und Venezianisch, aber auch Deutsch und Französisch, wovon sie bereits ein paar Grundkenntnisse besaß.
Zum ersten Mal, seit sie sechzehn war, hatte sie keine Arbeit. Italienisch und Venezianisch lernte sie in einer Sprachschule, Französisch und Deutsch zu Hause.
“Gefangen …”, hatte sie einmal vor sich hingemurmelt. “Gefangen wie eine Hausfrau im eigenen Heim.”
Sie versicherte sich, dass all das schnell
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