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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Lord Montfallcon klopfte an die Tür der Königin. Schwere Gedanken gingen in seinem Kopf um, denn er konnte Wheldrake nur beipflichten und wünschte doch nichts sehnlicher, als es nicht tun zu müssen. Sir Tancred war wenigstens ein bequemer und unkomplizierter Schuldiger, ohne Anhang und Familie. Sein eigener Argwohn richtete sich gegen gewisse ausländische Gesandte am Hofe. Oubacha Khan, zum Beispiel, war kaltblütig und entschlossen und haßte es, seine Pläne durchkreuzt zu sehen. Überdies war sein Zölibatsgelübde geeignet, seine inneren Spannungen zu verstärken. Und Mary Perrott war mit einem geschickt geführten Streich getötet worden, und der ihn geführt hatte, war vertraut mit einer langen Klinge. In Frage kam auch der kriegerische Gesandte von Bengalen, der, wie Montfallcon wußte, einst zwei Mädchen in Lady Marys Alter getötet hatte, als er sie zusammen in seinem Schlafgemach überrascht hatte. Oder der geheimnistuerische Li Pao, der mehr als einer Dame am Hofe nachgestellt und sich an Maeve ap Rhys, die nichts von ihm hatte wissen wollen, gerächt hatte, indem er ihre Gesäßbacken mit seinem Familienzeichen gebrandmarkt hatte. Oder der isländische Gesandte, der der Liebhaber von Lady Marys Schwester gewesen war, bis sie mit Sir Amadis Cornfield die Ehe geschlossen hatte. Oder der Gesandte von Peru, einem Land, das berüchtigt war für Menschenopfer und beiläufiges Blutvergießen. Montfallcon war entschlossen, sie alle auszuforschen, und wieder bedauerte er Quires Abwesenheit, wie er Sir Christophers Tod bedauerte. Noch mehr aber bedauerte er die Dunkelheit und die Konfusion in seinem Gehirn, ein vertrautes Chaos, das er während Hern Regierungszeit täglich bekämpft hatte.
    Müde klopfte er ein zweitesmal an die Tür der Königin.
    Er hoffte, daß Sir Tancred nicht unschuldig sei. Es war besser, einen überführten Täter zu haben, als einen Hof, der von Spekulationen, Gerüchten, Klatsch, Argwohn und Furcht siedete. Er fühlte, wie diese schädlichen Erscheinungen schon jetzt sein Goldenes Zeitalter bedrohten, seine Herrschaft der Mäßigkeit und Tugend.
    Ein drittesmal klopfte er, und endlich wurde die Tür von ei
ner bleichen Ehrenjungfrau geöffnet, die noch in das luftige
Gewand einer Dryade gekleidet war.
»Milord?«
Er trat ein. »Wie ist das Befinden Ihrer Majestät?«
»Sie weint, Milord. Sie liebte Mary Perrott.«
    »Freilich.« Verdrießlich schritt Montfallcon zum Fenster und starrte hinaus auf die Ziergärten mit ihren Springbrunnen und beschnittenen Büschen. Es regnete jetzt stark. Große Tropfen platschten aus einem Ungewissen Himmel, durch den die Sonne einen gelegentlichen Lichtstrahl schickte. Montfallcon zog die Brauen zusammen und kehrte dem Fenster den Rücken. Der Raum mit seinen Blumendüften und schweren Vorhängen lag im Halbdunkel; nur die nervöse Dryade leistete ihm darin
    Gesellschaft. »Melde Sie mich an«, sagte er.
    »Milord, ich wurde angewiesen, Majestät für eine Stunde völlig in Ruhe zu lassen.« Sie machte einen Knicks.
    Montfallcon marschierte murrend hinaus, das Gesicht gerötet
und grimmig zerklüftet.
»Sie wird sagen, daß ich hier gewesen bin.«
»Selbstverständlich, Milord.«
    Sie schloß die Tür hinter dem furchterregenden Lordkanzler und erschauerte. Durch die andere Tür drangen die Geräusche von Schluchzen und flehentlichen Ausrufen, mit denen Gloriana ihre Freundin betrauerte, ihre süße, glückliche Schutzbefohlene, ihr Kind …
    Denn Gloriana erinnerte sich der Eifersucht, die sie auf Lady Marys Glück verspürt hatte, und ihr von den Phantasien und Spielen des Tages verwirrtes Gehirn wurde von der Vorstellung geplagt, daß sie durch irgendeinen Zauber Tod über das Mädchen gebracht habe, ihn insgeheim herbeigewünscht und irgendwie durch Sir Tancreds närrische Begeisterung für Waffen arrangiert habe. Vielleicht war ihm die Befriedigung seiner Leidenschaften versagt geblieben, und in dem Verlangen, seine monströse Klinge zu gebrauchen, hatte er sie gegen das Geschöpf gerichtet, das er am meisten geliebt …
    Diese miserable Logik wurde überdies von ihrem Verantwortungsgefühl gestützt. Denn sie war sich bewußt, daß sie das ganze Reich verkörperte und für alles, was darin geschah, verantwortlich war. Wenn dieses schreckliche Verbrechen stattgefunden hatte, dann war es geschehen, weil sie versäumt hatte, es vorauszusehen und dadurch zu verhüten: Und wenn ein solcher Schrecken in ihrem eigenen Palast Wirklichkeit werden

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