Gloriana
solch bestialische, solch sinnlose Tat verüben würde. Denn es ist nicht gewöhnliche Bösartigkeit, die ihren Tod bewirkt hat.« »Ich denke genauso. Doch was Euren Barbaren angeht …«
»Ich habe den Thane gebeten, die Suche nach ihm aufzunehmen. Auch Lord Rhoones Männer beteiligen sich daran, denn Rhoone teilt mit mir die Meinung, daß Sir Tancred unschuldig ist.«
»Ich glaube nicht, daß Ihr ihn finden werdet«, sagte Una, oh
ne recht zu bedenken, was sie sagte.
»Wie?«
»Gleichwohl hoffe ich, daß Eurer Suche Erfolg beschieden sein möge, Dr. Dee. Hat noch ein anderer ihn gesehen, diesen Verdächtigen?«
»Nicht im Palast. Der Thane, natürlich, und Meister Tolchar
de.«
»Ein solcher Barbar würde auffallen.«
»Freilich – nur sind wir alle heute in Verkleidung. Wie auch
immer, wir werden Zeugen finden, die ihn gesehen haben.«
»Wenn er existiert.«
»Ihr zweifelt daran?«
»Ich bezweifle nichts, außer daß er der Mörder ist. Ich glaube, daß er, wie Ihr zuerst meintet, in seine eigene Sphäre zurückgekehrt ist. Mein Instinkt sagt mir, daß der Mord das Werk eines Feindes ist, der sich in die Hofgesellschaft eingeschlichen hat.«
»Es ist immer besser, einen Eindringling zu verdächtigen«,
sagte Dr. Dee mit Nachdruck.
»Um den Ruf zu beruhigen?«
»Gewiß.«
Die Gräfin von Scaith stützte die Hand auf die Hüfte und nickte nachdenklich.
»Und wir müssen Sir Tancred retten«, fügte der Alchimist hinzu. »Er ist sicherlich unschuldig.«
»Wir sollen ihn durch eine Lüge retten? Aus Gründen der Zweckmäßigkeit?«
»Es ist keine Lüge, sondern eine Spekulation.«
Una lächelte trübe. »Ein feiner Unterschied, Dr. Dee.« »Er bewirkt, daß der Unschuldige nicht leidet.«
»Es ist schlechte Logik, die zu Schlimmerem führt.«
Dr. Dee zuckte die Achseln. »Ich bin kein Politiker. Ihr mögt
recht haben. Außerdem kann es sein, daß der Barbar noch
gefunden wird.«
»Hoffen wir es.«
»Ihr werdet mit der Königin sprechen? Ihr werdet ihr Hoff
nung machen?«
»Wenn es Euch gefällt, Dr. Dee.«
»Ihr seht einen Dummkopf in mir, wie?«
»Ihr genießt meinen Respekt, Dr. Dee. Mehr als Ihr jemals begreifen werdet, denke ich.«
»Was?« Dr. Dee rieb sich das bärtige Kinn. »Ihr seid mir ein Rätsel, Milady. Es hat mich überrascht, daß Ihr meinen Nachforschungen solches Mißtrauen bezeigt, wo Ihr doch einen so raschen und scharfen Verstand habt.«
»Möglicherweise sind es nur Eure Forschungsmethoden, lieber Doktor, die mir zu Einwänden Anlaß geben.«
»Dann müssen wir diskutieren. Ich bin immer bereit …« »Dies ist nicht der rechte Zeitpunkt.«
»Gewiß. Aber seid so gut und macht Ihrer Majestät Mut. Ich möchte nicht, daß sie mehr als nötig unter dem Kummer leidet. Ich weiß, daß Lady Mary ihr nahestand …« »Ich verstehe Eure ehrenwerten Motive, Sir.« »Dann bedanke ich mich, Gräfin.«
Dr. Dee zog sich mit einer Verbeugung zurück, trat in den Korridor und blickte nach links und nach rechts, als sei er im Zweifel, welche Richtung er nehmen sollte. Dann machte er sich auf den Rückweg zu seinen eigenen Gemächern im Ostflügel. Er konnte der Gräfin von Scaith nicht verdenken, daß sie die Geschichte des Thane von einem mysteriösen Barbaren nicht glauben mochte, glaubte er selbst doch nur halb daran, doch war er von Sir Tancreds Unschuld fest überzeugt, und seine Mission hatte den Zweck gehabt, diese seine Überzeugung der Königin bekannt zu machen. Nun war er beruhigt und konnte an seine Experimente zurückkehren. Am meisten beschäftigte ihn die Frage, ob die altehrwürdige Kunst der Geisterbeschwörung geeignet sein möchte, Lady Mary von den Toten zu erwecken, wenn auch nur für kurze Zeit, um aus ihrem eigenen Munde den Namen des Mörders zu erfahren. Es gab erstaunliche Berichte über die Wirksamkeit dieser Kunst, aber er war gleichwohl geneigt, nicht allzuviel Vertrauen darauf zu setzen. Er glaubte, daß es bessere, alchimistische Mittel gab, die Wirkungen zu erzielen, die von den alten Geisterbeschwörern und Schwarzkünstlern aus Herns Zeit, zu deren Diskreditierung er, John Dee, beigetragen hatte, behauptet worden waren.
Dennoch, dachte er, welches Wissen möchte gewonnen werden, wenn die Toten zum Leben erweckt werden könnten, durch welche Mittel auch immer! All das verlorengegangene Wissen der Alten, jener fernen vorklassischen Zeitalter, als die Welt noch jung gewesen war. Die Geheimnisse der Sterne, der Transmutation, der Navigation …
So lenkte Dr.
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