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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Er lächelte dem hübschen Jungen zu. »Ist recht, Sir.«
    »Wollt Ihr mich begleiten?« fragte Lisuarte Ingleborough, als
    er die Schulter des Pagen umfaßte und zu seinem Freund zurückblickte. »Wie?«
    »Ich muß zur Königin, um ihr Bericht zu erstatten.« »Das Quintanrennen ist also abgesagt?«
    »Freilich, nachdem der Hauptteilnehmer und Champion indisponiert ist«, erwiderte Montfallcon trocken.
    Lord Ingleborough zuckte die Achseln. »Das Quintanrennen ist das einzige, was mir von diesen Unterhaltungen zusagt. Und selbst das ist zahm, verglichen mit dem Lanzenbrechen und dem Ringelstechen meiner Jugend.«
    »Auf Geheiß der Königin trauert der gesamte Hof um Lady Mary.«
    »Aha.« Ingleborough stapfte davon, auf den Pagen gestützt.
    Lord Montfallcon überlegte, ob auch er im Begriff sei, zu vertrotteln. Traurig blickte er seinem humpelnden Freund nach. »Milord?« Es war Meister Wheldrake, noch in seinem Federkleid, die Vogelmaske unter dem Arm. »Ist Lady Mary wahrhaftig ermordet worden?« »Ja.«
    »Von wem?« Die Stimme des Dichters war so gepreßt, daß
Montfallcon ihn kaum verstehen konnte. »Von Sir Tancred?«
»Es scheint. Sein Degen. Ihr Hals.«
»Beim Zeus!«
    Montfallcon legte die Hand beruhigend auf Wheldrakes zuckende Schulter.
    »Eine Trauerode vielleicht, Meister Wheldrake? Die Königin hat von Stund an Hoftrauer angeordnet.«
    Wheldrake zitterte. »Sie war ein Kind. Sechzehn Jahre. Ein fröhliches Kind. Und sie liebte Sir Tancred so, mit einer solchen Unschuld. Sie waren glückliche Liebende, dachten wir, und fröhliche Ehegatten. Sie gab ihm alles …«
    »Aber vielleicht nicht genug für die romantische Seele. Einer wie Sir Tancred verlangt eine Erwiderung, die der eigenen Gefühlsglut entspricht. Erinnert Euch, wie inbrünstig er der Königin dient. Sein Glaube an das Rittertum und seine Kavalierstugenden ist absolut. Darum werden Männer wie er so oft zurückgewiesen, so oft nicht ernst genommen und verlacht oder in der Liebe enttäuscht. Sie sind zu leidenschaftlich, zu heftig in ihrer Treue …«
    »Nein«, sagte Wheldrake. »Ich möchte schwören, daß sie von einem anderen getötet wurde.«
    »Wer sonst käme in Frage?« Sie schritten langsam, Seite an
Seite, durch die stillen, reich ausgeschmückten Palastkorridore.
»Ein Diener? Der sie vergeblich zu verführen suchte und sich
rächte?«
»Unwahrscheinlich, Meister Wheldrake.«
»Ein anderer Liebhaber?«
    »Sie hatte keinen«, sagte Montfallcon. Er befeuchtete seine Lippen. »Ihr Vater muß benachrichtigt werden. Ich werde einen Boten nach Hever schicken. Ich bin voll von Zweifeln, Meister Wheldrake. Ich argwöhne darin ein schlimmes Vorzeichen. Einst floß in diesem Palast das Blut Unschuldiger. Er stank nach Blut, müßt Ihr wissen. Blut blühte auf Wandteppichen, befleckte die Wände, verkrustete schuldige Klingen. Mädchen wie Mary starben beinahe täglich – erstochen, vergiftet, erwürgt. Es war eine Zeit finsteren Wahnsinns, und Furcht trieb die Tugend ins Versteck. Es war Albions Eisernes Zeitalter. Ich möchte nicht einmal eine Andeutung seiner Rückkehr haben.«
    »Ein Mord ist nicht genug, um die Tyrannei zurückzurufen«, sagte Meister Wheldrake tröstend, obgleich auch er das Frösteln fühlte, als ginge ein unheilverkündender Wind durch die Hallen. »Wenn Sir Tancred das Verbrechen beging, dann wird er vor Gericht gestellt, für schuldig befunden, und wir alle werden einen Monat oder zwei in Trauer sein, nicht mehr.« »Wenn?«
    »Ja, wenn«, sagte Wheldrake zuversichtlich. »Der wahre Mörder wird gefunden werden, wenn es nicht Tancred war. Lord Rhoone und Sir Christophers Nachfolger werden gemeinsam jede verdächtige Person verhören. Die Zahl derer, die über jeden Verdacht erhaben sind, ist sehr groß, denn nahezu der ganze Hofstaat nahm an den Maifestlichkeiten teil.« »Also denkt Ihr an einen Diener?«
    »Einen verrückten Diener, ja – denn es ist das Werk eines Wahnsinnigen, ganz sicher. Wäre es mit Vorbedacht geplant gewesen, so hätte das Verbrechen leicht verhüllt werden können. Gift, Erstickung, scheinbarer Selbstmord. Ein Verrückter, ohne Zweifel.«
    Montfallcon hob die Schultern. »Aber Sir Tancred scheint
verrückt zu sein.«
»Vor Kummer.«
»Nur das?«
    Sie waren vor den Gemächern der Königin angelangt.
    »Es ist mein Instinkt«, sagte Wheldrake, »und ich kann Euch keine rationale Erklärung geben.« Er verbeugte sich in seinen nassen, struppig aussehenden Federn und verabschiedete sich.

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