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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Gericht, das sich damit brüsten kann, dreizehn Jahre keinen Mordfall verhandelt zu haben.«
    »Mit welcher Anstrengung und durch welche Heuchelei wird dieser Friede aufrechterhalten?«
    »Durch guten Willen, Vertrauen, einen Glauben an die Gerechtigkeit, Majestät.« Die Gräfin von Scaith war müde. »Ehre ist nur eine Erfindung des Menschen, und er sorgt für ihre Wahrung. Zweifelt nicht daran, daß dieser Hof tugendhaft ist …« »Ich verbringe zuviel Zeit mit meinen eigenen Angelegenheiten, meinen Selbsttäuschungen und Befriedigungen.« Die Gräfin von Scaith strich ihrer schluchzenden Freundin behutsam übers Haar. In ihrem Herzen schien ihr, daß alles das als ein Ergebnis ihres unverantwortlichen Abenteuers in den Gängen und verlassenen Teilen des Palastes zustande gekommen sei. Nach jenem Tag, als sie die geheimen Bewohner der Tiefe entdeckt hatten, hatte Una die versteckte Tür zum Fluchtweg zumauern lassen. Aber noch immer war ihr, als habe sie durch ihr Eindringen in jene Welt einen dunklen Geist freigesetzt, der nun in der Helligkeit des eigentlichen Palastes sein Unwesen trieb, möglicherweise von Sir Tancred Besitz ergriffen und Lady Mary vernichtet hatte. Selbst wenn der Geist den von ihm Besessenen wieder verlassen hatte, hinterließ er ein Erbe. Es würde viele Monate dauern, bevor das Leben am Hofe seine frühere unbeschwerte Heiterkeit wiedergewinnen konnte. Es klopfte.
    Die Gräfin von Scaith verließ die Seite ihrer Königin und öffnete. Eine der Kammerjungfern stand draußen.
    »Lord Montfallcon war hier, Milady, und trug mir auf, es der Königin zu sagen. Und jetzt wartet Dr. Dee draußen.« Una verließ das Zimmer der Königin und schloß die Tür. »Ich werde mit ihm sprechen.«
    Die Dryade eilte zur äußeren Tür, öffnete sie, und herein schritt Dr. Dee, großartig anzusehen in seiner schwarzen Trauerkleidung, deren dunkle Würde von seinem weißen Bart noch betont wurde. »Die Königin ruht«, sagte Una.
    »Ich habe ermutigende Nachricht«, sagte Dr. Dee. »Ich bin von Sir Tancreds Unschuld überzeugt.«
    »Gibt es einen Zeugen?« Una bewegte sich unwillkürlich
einen Schritt zum Zimmer der Königin, um ihr die Botschaft
zuzurufen.
»Nein.«
Una seufzte.
    »Nicht genau«, fuhr Dee fort. »Ich glaube, daß ein Besucher von Meister Tolcharde das Verbrechen begangen haben könnte. Er kam erst kürzlich in Begleitung des Thane von Hermiston, der von einer seiner Reisen zu einer Astralebene zurückgekehrt war. Eine wilde Kreatur, ein Barbar, mit Schwert, Axt und Netz, dazu mit Dolchen aus Eisen und Kupfer, gekleidet in Fell und Horn, mit einem ausländischen Namen, den ich vergessen habe. Mit einem Wort, er entwich dem Thane, und wir wähnten, Dämonen hätten ihn in seine Niederwelt zurückgetragen. Nun glaube ich, daß er noch irgendwo im Palast ist.« »Aber welchen Beweis habt Ihr, Dr. Dee?«
    »Ich kenne Sir Tancred als einen freundlichen, ritterlichen Mann, dessen Liebe zu Lady Mary seiner Vaterlandsliebe gleichkam.«
    »Sein Degen«, erinnerte sie ihn. »Ihr Blut an seiner Rüstung.«
    »Weil er sie an sich gedrückt hatte. Ich besuchte ihn in seinem Gefängnis. Lord Rhoone hat ihn in einem der älteren Kerker untergebracht, mit Schlössern und Riegeln und dergleichen.« »Wie ist sein Befinden?«
    »Für seine körperlichen Bedürfnisse ist gesorgt. Aber er
schreit und tobt. Er ist besessen.«
»Besessen von Eurem Dämon?« sagte sie.
    »Meinem? Meine dämonischen Besucher sind zahm, das versichere ich Euch, und ihr Werk ist wohltätig.«
    »Ich sage, was andere denken mögen«, sagte sie ihm.
    »Ich verstehe. Ihr seid eine Skeptikerin, Milady. Das ist mir bekannt.«
    »Nicht eigentlich eine Skeptikerin, Dr. Dee. In Interpretationsfragen habe ich meine eigene Meinung. Aber wir sprachen über Sir Tancred.«
    »Ich halte ihn für vernünftig. Das heißt, ich glaube, daß er bis zu dem Augenblick, da er ihren Leichnam fand, geistig gesund war. Nun kann er nicht glauben, was geschehen ist. Sein Verstand sucht der Wahrheit zu entkommen. Er weint, und dann klärt sein Antlitz sich auf, und er scheint vernünftig zu sprechen, nur daß er von Lady Mary redet, als wäre sie noch am Leben, und daß sie bald heiraten wollen, und er bittet, daß sie ihn besuchen dürfe, und so weiter. Es ist eine traurige Verrücktheit, die von ihm Besitz ergriffen hat. Nicht die Verrücktheit des Kummers.«
    »Und dieser entkommene Barbar ist der Schuldige?«
    »Ich kann mir keinen anderen denken, der eine

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