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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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infolgedessen mißgelaunt. Dennoch schaut er froh auf sein London, auf die matt schimmernden Lichter des mächtigen fernen Palastes, und er dankt sogar dem Schiffsjungen, der ihm einen Becher mit heißem Rum aus der Kombüse bringt. Er schlürft, der Metallbecher brennt an seinen bärtigen Lippen, er grunzt und stampft und ruft in seinem scharfen Falsett den Schleppbooten zu, wann immer ihm scheint, daß das Schiff den hohen Böschungen des Flußufers zu nahe kommt. Sir Thomasin Ffynne ist kleinwüchsig und rundlich, mit zwinkernden Schweinsäuglein im roten Gesicht, aber hinter dieser äußeren Erscheinung verbirgt sich eines der schlauesten Gehirne in ganz Albion. Mit sechsundzwanzig Jahren Admiral, segelte er in den alten Tagen der Eroberungen und Plünderungen mit den Kriegsflotten von König Hern, und unter diesem wurde er als der Schlimme Tom Ffynne bekannt, in einer Zeit, die nicht eben arm an Übeltätern und menschlichen Scheusalen war. Doch ist seine Verehrung für die Königin so tief wie jene des Lords Montfallcon, einem der wenigen anderen, die Herns Regierungszeit einigermaßen ehrenhaft überlebten und unter Gloriana noch im Amt sind. Tom Ffynnes Onkel war der Mann, der für König Hern die arabischen Kalifate eroberte, aber Tom Ffynne war es, der sie hielt, sie in ihrer Verteidigung beinahe vollständig von Albion abhängig machte. Außerdem hatte Ffynne zwei Aufstände in dem gewaltigen Kontinent Virginia niedergeschlagen und die Macht seines Vaterlandes gefestigt. Auch in Cathay, in Indien, in allen Königreichen Asiens und an den Küsten Afrikas hat Tom Ffynne mit Schläue und rücksichtsloser Brutalität gefochten, um Albions Herrschaft über diese Länder zu erhalten, die nun Glorianas Protektorate sind und von ihr gewissenhaft beschützt werden; sie hat jede Form von Gewalt untersagt und verlangt Gerechtigkeit für alle Untertanen, für die sie die Verantwortung übernommen hat.
    Verwirrende Zeiten für Ffynne, der einst ein festes und begründetes Vertrauen in Terror als das beste Mittel zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gehabt hatte und all diese neuen Gesetze als unnötigen Aufwand ansah, als umständliche Gefühlsduselei, die von jenen, denen sie zugute kommen sollten, mißbraucht wurden. Gleichwohl hat er gelernt, die Wünsche seiner Herrscherin zu respektieren, wahrt eine widerwillige Untätigkeit, wo die Königin seine Bewegungsfreiheit ausdrücklich einschränkt, und gibt sich mit Forschungsreisen zufrieden, die er da und dort mit ein wenig Seeräuberei zu verbinden weiß, solange die betroffenen Schiffe nicht unter dem Schutz eines allzu gut befreundeten Herrschers stehen. Die Laderäume seiner Galeone, der Tristan und Isolde , sind wohlgefüllt, zur Hälfte mit dem Schatz eines westindischen Herrschers, dessen Städte Tom Ffynne auf einer Flußreise besuchte, die ihn Hunderte von Meilen ins Landesinnere führte, und zur andern Hälfte mit Stoffen und Silberbarren, die er nach fünfstündigem Kampf vor den Küsten Kaliforniens, der nördlichsten der iberischen Kolonien, zwei iberischen Handelsschiffen abgenommen hat. Tom Ffynne beabsichtigt alles der Königin abzuliefern, hegt aber begründete Hoffnung, daß die Königin den Offizieren und Mannschaften der Tristan und Isolde einen großen Anteil überlassen werde. Noch aus einem anderen Grund ist er begierig, eine Audienz zu erhalten: Er hat Nachrichten, die Montfallcon interessieren und die Königin
    womöglich beunruhigen werden.
    So dicht fällt der Schnee, daß der Morgen unbemerkt kommt. Als Ffynne sich umwendet, sieht er, daß der Osthimmel ein blasses Grau zeigt, und bald darauf lösen sich die Umrisse des verschneiten Palastes wie diejenigen eines breit hingelagerten Gebirgsstocks aus der schwindenden Dunkelheit. Zu seinen Füßen breitet sich ein halb im Schnee versunkenes London aus und eine Themse, in deren schwarzen Wassern Eisbrocken und kleine Schollen dahintreiben, langsam in der trägen Strömung kreiselnd.
    Alles ist weiß und still. Tom Ffynne hört auf zu stampfen und steht in stummer Bewunderung des Anblicks von Albions Hauptstadt an diesem Neujahrstag, an dem das dreizehnte Jahr von Glorianas friedlicher Regierung beginnt, das nach Meinung des alten Dr. Dee, des königlichen Hofastrologen, das bedeutsamste Jahr sowohl ihres Lebens als auch in der Geschichte des Reiches sein wird.
    Tom Ffynne stößt eine mächtig dampfende Atemwolke aus. Er schlägt die in dicken Fäustlingen steckenden Hände zusammen und

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