Gloriana
Herein kam ihre engste Freundin und Vertraute, ihre Privatsekretärin Una, Gräfin von Scaith. Sie trug eine graue Schaube aus grauem Brokat, deren hoher, steifer Kragen ihren Hals vollständig umschloß und mit den kurzen Puffärmeln ihr herzförmiges Gesicht betonte. Es war vorn offen und zeigte den weiten, dunkelrot-goldenen Reifrock. Unas graue Augen, intelligent und voll Wärme, blickten in Glorianas – eine kurze Frage, die schon beantwortet war –, bevor sie einander umarmten.
»Beim Hermes, man verschone mich mit Ärzten wie jenen, die mir geschickt wurden!« Die Königin lachte. »Die ganze Nacht stachen sie mich mit ihren kleinen Instrumenten und langweilten mich so, Una, daß ich schließlich fest einschlief. Als ich erwachte, waren sie fort. Wirst du ihnen ein Geschenk von mir schicken? Für ihre Mühe.«
Die Gräfin von Scaith nickte, sorgfältig bedacht, auf die gespielte Sorglosigkeit der Stimmung ihrer Freundin einzugehen. Sie verließ das Schlafgemach und betrat einen Nebenraum, wo sie einen kleinen Schreibtisch aufsperrte und ihm ein Notizbuch entnahm. Durch die offene Tür rief sie zurück: »Die Italiener? Wie viele?« »Drei Jungen und zwei Mädchen.« »Geschenke von gleichem Wert?« »Das erscheint mir angemessen.«
Una kam wieder herein. »Tom Ffynne ist gerade eingetrof
fen. Die Tristan und Isolde hat vor knapp drei Stunden bei
Charing Cross festgemacht, und er ist begierig, Euch zu spre
chen.«
»Allein?«
»Oder mit Lord Montfallcon. Vielleicht um elf, wenn Euer Staatsrat zusammentritt?«
»Versuche etwas über die Natur seiner Ungeduld zu erfahren, Una. Ich möchte den getreuen Admiral nicht beleidigen.« »Er ist einer der Getreuesten«, stimmte Una zu. »Diese alten Männer aus der Zeit Eures Vaters hegen höhere Wertschätzung für Euch als die jungen, denke ich, weil sie sich erinnern …« »Freilich.« Gloriana ging nicht darauf ein. Sie hatte eine Abneigung gegen Erinnerungen an ihren Vater und Vergleiche mit ihm, denn sie hatte das Ungeheuer mehr und mehr geliebt, als er älter und kränklicher geworden war, und hatte schließlich gelernt, mit ihm zu sympathisieren, wußte sie doch, daß er vom langen Tragen der Bürde geschwächt gewesen war, die sie selbst kaum zu schultern vermochte. »Welche Termine haben wir heute?«
»Ihr wünschtet eine Audienz für Dr. Dee. Sie ist im Anschluß an die Sitzung des Staatsrates vorgesehen. Nach dem Mittagsmahl sind dann um zwei Uhr die Botschafter von Cathay und Bengalen zur Audienz gemeldet.« »Grenzstreitigkeiten?«
»Lord Montfallcon hat ein Memorandum und eine Lösung
ausgearbeitet. Er wird Euch in der Sitzung des Staatsrates
davon unterrichten.«
»Und anschließend?«
»Eure Kinder und ihre Gouvernanten bis vier Uhr. Um fünf
findet im Audienzsaal ein Empfang statt.«
»Die ausländischen Würdenträger, wie?«
»Die üblichen Geschenke und Bekundungen zum Beginn des neuen Jahres. Um sechs Uhr dann Neujahrsempfang für den Bürgermeister und die Ratsherren – Geschenke und Treuever sprechen. Um sieben hattet Ihr zugestimmt, die Angelegenheit der Neubauten von Greyfriars zu besprechen. Um acht Uhr Abendessen: die Lords von Kansas und Washington.« »Ach, die romantischen Virginier! Das verspricht unterhaltsam zu werden.«
»Nach dem Dinner gibt es nur noch einen Punkt. Sir Tancred Belforest erbittet eine Audienz.« »Ein neues Vorhaben ritterlichen Wagemutes?« »Ich glaube, es ist eine private Angelegenheit.«
»Ausgezeichnet«, erwiderte Gloriana lachend, als sie den Ankleideraum betrat und die Glocke für ihre Zofen läutete. »Es wird mir eine Freude sein, dem armen Champion gefällig zu sein; immer ist er bestrebt, mir zu gefallen, aber er versteht sich nur auf Kampf und Gymnastik. Hast du eine Vorstellung von seinen Wünschen?«
»Ich würde sagen, er erbittet Eure Erlaubnis, Mary Perrott zu heiraten.«
»Oh, mit Freuden. Ich habe sie beide gern. Und ich würde ihm jede Gunst erweisen, um seine edle Aufmerksamkeit abzulenken!« Die Zofen kamen herein, zwei hübsche Mädchen. Beide waren vormalige Liebhaberinnen der Königin und später in ihre Dienste übernommen worden, denn sie konnte niemanden entlassen, der oder die versucht hatte, sie zufriedenzustellen, und nicht den Wunsch hatte, frei zu sein. »Das verspricht ein relativ leichter Tag zu werden.«
»Das hängt von Tom Ffynnes Nachrichten ab. Er könnte Meldungen von kriegerischen Verwicklungen bringen, in Westindien.«
»Mit Westindien haben wir nichts zu
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