Gloriana
sind das Reich, Milord, und haben daher keine menschlichen Gefühle.« Sie blickte mit heiterer, aber undurchdringlicher Miene zum Turnierplatz hinab, dann fügte sie hinzu: »Eure direkte Art ist erfrischend, Lord Kansas, aber für das Hofleben nicht immer passend.« Er lächelte. »Ihr werdet mir vergeben?« »Ihr bezaubert uns, wie immer, Milord.«
Lord Montfallcon näherte sich mit berechnendem Blick. »Milord von Kansas?«
Der Angeredete erhob sich und machte eine Verbeugung. »Euer Gnaden.«
In diesem Augenblick verstand die Königin ihren Lordkanzler: Er sah den virginischen Adligen als einen möglichen Prinzgemahl. War es die letzte Trumpfkarte seiner Diplomatie? Und dachte der Lord von Kansas überhaupt daran, ihr den Hof zu machen? Sie blickte von einem zum anderen, während sie sich mit dem Fächer Kühlung zufächelte.
»Es scheint, daß Ihr eine Vorliebe für das Hofleben gefaßt habt«, sagte Lord Montfallcon.
»Meine Vorliebe gilt der ganzen Insel«, antwortete der Lord von Kansas. Er schien widerwillig, mehr zu sagen, vielleicht, weil er Montfallcons übersensible Interpretation fürchtete. Der Lordkanzler trat auf die Königin zu, daß es einen Augenblick lang schien, als bedrohe er sie, und der Lord von Kansas hob unwillkürlich die Hand, um ihn daran zu hindern. Dann ließ er die Hand an das Heft seines Zierdolches sinken. »Majestät«, sagte Lord Montfallcon, der sich dieser Gesten kaum bewußt war, »der Gesandte von Cathay bittet um die Gelegenheit zu einem Gespräch.«
»Laßt ihn nähertreten, Milord.« Gloriana lächelte dem Virginier zu und widmete sich wieder der Pflicht.
Und der Pflichterfüllung lebte sie die ganze Woche hindurch, während die Sonne heißer und immer heißer vom Himmel brannte, die Menge immer lärmender und die ritterlichen Turnierwettkämpfe immer glanzvoller wurden, und Seide, Stahl und Wasser, Staub und Dunst sich miteinander verbanden und eine Atmosphäre schufen, die jeden Tag aufs neue einem Traum ähnelte. Sie nahm an Banketten teil und bezauberte jedermann. Sie verlieh Ehrungen, nahm Geschenke entgegen, verteilte Lob an alle, und die allgemeine Ansicht war, daß dies die schönste der sommerlichen Festlichkeiten sei und daß ihr nichts jemals an Vollkommenheit und Fröhlichkeit gleichkommen würde. Kein Ritter, Knappe, Gesandter oder Würdenträger, keine adlige Dame, Ehrenjungfrau oder Matrone verließ die Königin anders als mit freudig klopfendem Herzen und hoffnungsvollem Schritt. Und wenn die Königin sich mit jedem Tag ein wenig mehr auf ihre Schminktöpfe verließ, um ihre blühende Frische zu erhalten, so gab es keinen, der darob abschätzige Bemerkungen machte oder auch nur sah, was der schweigsame Sir Thomasin Ffynne und der leidende Ingleborough sehr wohl sahen: wie blaß sie geworden war.
Und Lord Montfallcon, der sich unter den Gästen bewegte und die guten Werke der Königin verstärkte und stützte, wollte nichts davon sehen und hören, wenn Tom Ffynne oder Lisuarte Ingleborough davon Erwähnung taten. Er war zu seinen möglichen Feinden und seinen vielen Bekanntschaften beinahe herzlich geworden, wurde aber kälter zu seinen Freunden. Unterdessen wohnte Sir Amadis Cornfield nur solchen Zeremonien und Festlichkeiten bei, wo seine Abwesenheit mit allerhöchster Mißbilligung vermerkt worden wäre, während er immer häufiger dem alten Ostflügel zustrebte; und Dr. Dee, geistesabwesend, aber liebenswürdig, kam nur selten aus seinen Gemächern zum Vorschein und vergaß niemals, die Tür hinter sich abzusperren; und Lord Gorius Ransley wurde verschiedentlich in den Korridoren und Galerien des alten Palastes gesehen, wo er untätig herumlungerte, als warte er auf jemanden; und Meister Florestan Wallis kam ermattet und schweratmend seinen Pflichten nach, wann und wo immer man ihn erblickte. Selbst der treue Lord Rhoone verbrachte mehr von seinen Stunden in der privaten Gesellschaft seiner Familie, als es üblich war, doch war dies zu erwarten.
Und wenn die Königin Magister Wheldrake oder Lady Lyst vermißte, so wußte sie, was die beiden befürchteten, und fragte nicht nach ihnen. Überdies arbeitete Wheldrake noch an seinen letzten Versen für den Jahrestag der Thronbesteigung. Lord Sharyar kehrte aus Bagdad zurück und überbrachte die Grüße und die Verehrung seines Herrn, des Großkalifen Hassan, nebst kostspieligen Geschenken, wollte aber nichts zu den Gerüchten sagen, die von einem bevorstehenden Duell an Bord eines Schiffes wissen
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