Gloriana
diesen Anlaß zu einem Besuch nutzten, wie auch die meisten Mitglieder des Staatsrates, die heute nicht am Turnier teilnahmen, sondern ihrer Königin aufwarteten, bis diese am letzten Tag der Festlichkeiten, dem eigentlichen Jahrestag ihrer Thronbesteigung, als Königin Urganda die Unbekannte auftreten mußte, die geheimnisvolle und wohltätige Zauberin der Legende, Freundin der Helden, Erlöserin der Edlen und Tapferen – sie alle füllten die Galerie mit den luftigen Arkadenbogen mit Leben und Munterkeit. Gloriana spielte die Rolle der wohlwollenden Monarchin mit einer Energie, die sie aus unvertrautem Zorn über die Ungerechtigkeit ihrer Position bezog. Montfallcon hatte auf ihrer Anwesenheit bestanden und sie an jene Gelöbnisse erinnert, die sie vor ihrer Thronbesteigung abgelegt hatte; damit nicht genug, hatte er ihr Albions großes Erbe, seine Bedeutung und seinen Wert ins Gedächtnis gerufen. Es war ihm gelungen, ihr Gewissen zu wecken, nicht aber ihre innere Teilnahme und Lebhaftigkeit. Sie hatte die Vernunft seiner Argumente eingesehen, doch ihre Abneigung dagegen war geblieben. In den vergangenen zwölf Jahren hatten ihr die Festlichkeiten zum Jahrestag der Thronbesteigung immer Vergnügen bereitet, vor allem das Maskenspiel, in welchem sie die Hauptrolle spielte, aber nun, da Una nicht mehr war, Mary nicht mehr war, der gute, einfältige Sir Tancred nicht mehr war, konnte sie die Abwesenheit dieser Vertrauten nur noch schmerzlicher empfinden, und während sie lächelte und plauderte und von Zeit zu Zeit zum Hof hinunterwinkte, trauerte sie um die drei. Sie fühlte sich verraten – von der unwissenden Una, vom wissenden Montfallcon, vom Staatsrat, von Freunden und Gefährten –, denn sie hatte nun keine Freunde mehr, nur Untertanen, Abhängige, ihre Diener, ihre Geheimnisse. Solche Empfindungen spornten sie zu großen Schaustellungen von Witz und Verstand an. Sie war nicht mehr sie selbst. Sie spielte unter Anspannung aller Kräfte Glorianas Rolle, und wenige errieten, daß sie bald daran zerbrechen mochte, und von den wenigen, die es spürten, machte sich kaum einer etwas daraus. Sie war wie ein prachtvolles Flaggschiff, das mit vollen Segeln vor dem Wind fuhr, über die Toppen beflaggt, blitzend und glänzend von Messing und Holz, von allen, die es die Wasser durchpflügen sahen, bewundert und bejubelt, aber – und das wußte keiner – ohne Anker und ohne Ruder unter der Wasserlinie.
Das erste Turnier begann auf dem speziell abgesteckten Turnierplatz in der Mitte des Hofes und an den Ufern des künstlichen Sees, damit eine größtmögliche Zahl von Zuschauern freien Blick auf die ritterlichen Spiele habe.
Sir Timon von Graveny, ein junger Ritter in Blau und Weiß, trat gegen den erfahreneren Sir Peregrin von Kilcolman an, der, in Rot, Gold und Schwarz gekleidet, prächtig anzuschauen war. Bald war Sir Timon vom Pferd gestoßen, worauf Sir Peregrin absaß, zwei Piken ergriff und seinem Gegner, nachdem er ihm aufgeholfen hatte, eine davon gab, so daß sie ihren Zweikampf fortsetzen könnten, bis einer fiele oder fünf Piken im Kampf zerbrochen wären. In ihrem schweren, kunstvoll gearbeiteten und mit Gelenken und Scharnieren versehenen Stechzeug, in geschlossenen Visierhelmen, runde Turnierschilde an den unbewaffneten Armen, bewegten die Ritter sich langsam und überlegt auf dem Platz und schlugen und stießen mit stilisierter Anmut aufeinander ein, wie Tänzer in einer altertümlichen Pantomime. Die Menge ringsum und über ihnen war still, schwitzte in der Augusthitze und war sich der Unbequemlichkeit der Turnierstreiter bewußt, die in ihren Rüstungen langsam gedünstet wurden.
Als Königin Gloriana sich von dem Schauspiel abwandte, traf ihr Blick Oubacha Khan, der den Kopf neigte und ihr zulächelte, und sie rief: »Kommt und setzt Euch zu mir, Milord. Es ist lange her, daß wir miteinander gesprochen haben.« Der stattliche Tatare, in goldenem Überrock und silbernem Harnisch, der Festtagskleidung eines Adligen in seiner Heimat, kam zur Königin und beugte sich über ihre Hand. »Ich war um das Wohlergehen der Gräfin von Scaith besorgt«, sagte er mit leiser Stimme.
Gloriana lud ihn ein, sich neben sie zu setzen. »Wie wir alle
es sind, Milord«, erwiderte sie ohne ein Zeichen von Gemüts
bewegung.
»Ich bewunderte die Dame sehr.«
Gloriana blieb auf der Hut, aber sie war überzeugt, daß sie
Aufrichtigkeit in den dunklen Augen des Orientalen las. »Wie
auch ich es tat, Milord.«
»Ein
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