Gloriana
weil ihr Leben bei weitem zu kompliziert sind. Der Friede stürzt die Menschen in eine Art von Verwirrung, die lange Zeit auszuhalten nur wenige die Kraft haben. Verantwortlichkeiten blühen. Die Menschheit ist aber zum größten Teil aus Schwächlingen gemacht, Tink – und im Krieg blühen sie auf. Sie brauchen nicht mehr selber zu entscheiden, wie sie ihr Leben einrichten sollten. Immer ist jemand da, der ihnen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Oh, wie sehr lieben die Schwachen den Krieg!«
Er ging hinaus, um sich in der Türöffnung noch einmal umzuwenden und seinem verwirrten und besorgten Freund eine Kußhand zuzuwerfen.
DAS ACHTUNDZWANZIGSTE KAPITEL
Die Favoriten der Königin vergnügen sich, und Lord Montfallcon warnt
vor der Katastrophe, die notwendig auf Gottlosigkeit folgt
Der Wasserstrahl des versteckten Springbrunnens spritzte unversehens aus einem Beet mit weißen, rostfarbenen und gelben Chrysanthemen, so daß Lady Lyst, ohnedies ein wenig unsicher auf den Beinen, mit einem erschrockenen Aufschrei hintenüber fiel, ihren Strohhut verlor und die in einen indischen Sari gehüllten Beine in die Luft streckte, während die Königin und ihr Gefolge aus Höflingen und Hofdamen herzlich lachten, unter einer warmen Herbstsonne, deren dunstiges Licht weich auf den Gärten lag. Blumen aller Sorten, zur Steigerung der Wirkung sorgsam nach Farben arrangiert, blühten in geometrischen Quadraten, Kreisen, Sicheln und Halbmonden, unterteilt von den schmalen Kieswegen, den feuchten Rasenflächen, den beschnittenen Buchsbaumhecken und den Ziersträuchern, deren Kegel, Zylinder und Kugeln das Bild gezähmter Natur vervollkommneten. Ernest Wheldrake steckte ein kleines Buch ein, darin er gelesen hatte, und half seiner Freundin auf die Füße. Auch er war ganz im Stil der gegenwärtigen Sommermode gekleidet, mit viel schwarzer und goldfarbener Seide im maurischen Stil, was ihn einem kleinen Gockel ähnlich machte, dem es gelungen war, sich das Gefieder eines Goldfasans auszuborgen. Sein Turban rutschte ihm ins Gesicht, als er sich mit Lady Lyst abmühte und sie schließlich, nach viel Geschnaufe und Füßegescharr, wieder aufrichtete. Sie schwankte. »Ihr Götter! Ich bin durchnäßt von außen und innen.« Wieder gab es Gelächter.
Wie gewöhnlich verschmähte Kapitän Quire die Mode und
blieb in ärmlichem Schwarz, das Gesicht von seinem breitkrempigen Schlapphut beschattet, aber er lächelte mit der Königin. Von den anderen hatte es allein Sir Thomasin Ffynne nicht über sich gebracht, ein Kostüm anzulegen, und trug Trauerpurpur (für Lisuarte), mit einem goldenen Ohrring als Zugeständnis an die Galanterie. Sir Amadis Cornfield hingegen war luxuriös herausgeputzt, im reichen Goldschmuck und dem buntschillernden Federumhang eines Inkakönigs, und Lord Gorius Ransley wetteiferte mit ihm als ostindischer Potentat, behangen mit Perlen, Edelsteinen und Korallen. Beide machten wie üblich der kleinen Alys Finch den Hof, die ihnen zuliebe in einem Sari durch das in allen Regenbogenfarben glitzernde Sprühwasser der Springbrunnen tanzte, das ihr Gewand durchfeuchtete und ihre knabenhafte Gestalt hervortreten ließ, so daß ihre Liebesglut noch weiter angeheizt wurde.
Phil Starling, der Tänzer, trug goldenen Schmuck und einen Lendenschurz zu der üblichen Bemalung und lag auf einer Wiese zu Füßen seines halb ohnmächtigen Florestan Wallis, der als chinesischer Mandarin gekleidet war. Meister Oberon Orme, ein phantastischer Tatare, kam aus dem Eingang des nahen Heckenlabyrinths gelaufen, verfolgt von zwei Hofdamen der Königin, die als burmesische Kurtisanen angezogen waren und beinahe über den jungen Phil stolperten, dessen Aufmerksamkeit von Marcilius Gallimari gefesselt war, einem schlanken Türken, flankiert von zwei kleinen Mohren, deren Blößen von nichts als kleinen Lendenschurzen aus goldenen Ketten bedeckt waren. Alle waren betört von der Euphorie, der erotischen Atmosphäre, die in letzter Zeit über dem Hof der Königin lag.
Die Königin umarmte und küßte Lady Lyst. »Ruhen wir hier aus.« Sie ließen sich zusammen auf eine marmorne Bank nieder und lachten zu Quire und Wheldrake auf. »Wann wird dieser Sommer enden?« rief sie aus. Es war eine rhetorische Frage, die während der langen Schönwetterperioden dieses Sommers zu einer stehenden Redensart geworden war. Und obwohl die Anzeichen des Herbstes nicht mehr zu übersehen waren, erwartete oder begrüßte niemand die Heraufkunft der
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