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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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auf dem Eis einer Pfütze das Gleichgewicht zu verlieren, bevor er sich fangen konnte und weitereilte. Durch die Radfurchen und den Schnee hastete Quire dahin, die Hutkrempe flappte im Wind, und der wehende Umhang knatterte wie schwarzes Feuer. Strauchelnd und schlitternd folgte er den Windungen des zerfahrenen Weges, bis er unvermittelt die Stadtmauer und den unbewachten Durchgang erreichte, der ihn in das vertraute Gassengewirr der nördlichen Stadtteile entließ, wo er bald darauf in einem reputierlichen Gasthaus abstieg, in welchem er als ein auswärtiger Gelehrter galt, dessen Studien ihn häufig in die nahegelegene Bibliothek des Klassischen Altertums führten. Den wahren Gelehrten hatte Quire im Verlauf eines Streites über die wahrscheinliche Identität des Dichters Justus Lipsius erschlagen und sich die Persönlichkeit des Unglücklichen angeeignet. Hier badete Quire in einem Zuber, aufgewartet von zwei aufmerksamen Mägden, verzehrte eine reichhaltigere und bessere Mahlzeit, als er sie aus seinen üblichen Speisehäusern gewohnt war, und mietete einen guten schwarzen Hengst. Die Kälte hatte zugenommen und die meisten Einwohner in die Häuser getrieben; die Straßen lagen beinahe verlassen, als Quire nach Osten galoppierte, zum Fluß und dem Wirtshaus Zum Walroß , um Tinkler zu sagen, welche Männer er zusammenrufen sollte und wo sie die besten Pferde bekommen würden. Tinkler eilte in seinem knarrenden neuen Ledermantel zur Tür und davon, angesteckt von Quires Lebhaftigkeit, und der letztere war im Begriff, ihm zu folgen, nachdem er ein Glas heißen Rum getrunken hatte, als Meister Uttleys ungesunde Züge ihn konfrontierten. Die kleinen Augen verschwanden fast zwischen Falten und Pockennarben, als er Quire in besänftigender Geste die Hand auf den Arm legte und sagte: »Ihr habt einen Feind, Sir. Er wartet draußen auf Euch, wo Euer Pferd ist.«
    Quire blickte zur Wanduhr auf, die Uttleys Stolz war, und sah, daß ihm noch zwei Stunden blieben, bevor er mit seinen Männern auf der Straße nach Rye zusammentreffen sollte. »Ein Verwandter des Sarazenen?«
    »Ein junger Bursche, den Ihr geschädigt habt, wie er behaup
tet.«
»Name?«
    »Hat er nicht genannt. Wenn Ihr es wünscht, Kapitän, laß ich Euer Pferd vom Knecht hinter das Haus führen, und Ihr könnt dort aufsitzen.«
    Quire schüttelte den Kopf. »Der Sache wollen wir auf den Grund gehen, wenn es möglich ist. Aber ich erinnere mich an keinen jungen Burschen.« Neugierig trat er zur Tür hinaus, blieb stehen und beobachtete den schlanken Jungen, der mit hitzigem, unstetem Blick bei dem Rappen und dem in Wolle vermummten Pferdeknecht herumstrich. Der Junge trug ein Wams mit Kapuze, Beinlinge aus Kaninchenfellen und geflickte Schuhe, und in seinen Fäustlingen hielt er einen langen, dicken Stab. Schwarzglänzendes Haar quoll unter der Kapuze hervor. Er hatte dunkle, zigeunerhafte Züge, aber sein Mund war es, der Quire Aufschluß über seinen wahren Charakter gab – er war breit, mit einer dicken, schmollenden Unterlippe. Quire ging langsam auf ihn zu und lächelte. »Nun, was gibt es?«
    »Ihr seid der Kapitän – Quire?« Der Junge errötete, verwirrt von der Diskrepanz zwischen seinen Phantasievorstellungen dieser Begegnung und ihrer Wirklichkeit. »Der bin ich, mein Schöner. Was soll ich dir angetan haben?« »Ich bin Phil Starling.«
    »Aha. Der Sohn des Wachsziehers. Dein Vater fuhr früher zur See, wie? Ein guter Bursche. Verlangst du Geld? Ich versichere dir, daß ich keinen Kupferpfennig Schulden habe, schon gar nicht bei einem ehrlichen Seemann. Aber wenn ein Besuch bei ihm helfen kann, bin ich gern bereit, mit dir zu gehen …« »Ihr wißt mehr von mir, als ich von Euch, Kapitän Quire. Ich komme wegen einer jungen Dame, die erst kürzlich ihren vierzehnten Geburtstag feierte, was Euch nicht gehindert hat, lüstern Hand an sie zu legen und ihre Jungfräulichkeit zu bedrohen.« Quire hob die Brauen. »Wie?«
    »Ich spreche von Alys Finch, die für Mrs. Crown arbeitet, die Näherin. Eine Waise. Ein Engel. Ein Vorbild an Tugend und Sanftmut und Güte, ein Mädchen, das ich heiraten und beschützen werde.« Starling bekräftigte seine Aussage mit einer etwas ziellosen Geste seines Stocks.
    Quire heuchelte mühsam beherrschten Zorn. »Und wie soll ich diese Jungfrau beleidigt haben? Mit lüsternen Händen? Ein Mädchen, das meine Wäsche einsammelt, das ich nicht wiedererkennen würde, wenn es ein zweites oder ein drittes Mal käme. Wer

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