Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
Vom Netzwerk:
hat dir das erzählt?«
    »Sie selbst sagte es mir. Sie war beunruhigt.« Der Junge stockte. »Alys lügt nicht.«
    »Aber junge Mädchen bilden sich mancherlei ein und halten es für wahr – häufig gerade dann am entschiedensten, wenn ihre Einbildungen am seltsamsten sind.« Quire rieb sich bedächtig nickend das Kinn. »Visionen und dergleichen, verstehst du? Erscheinungen. Sie wissen so wenig von der Welt, daß sie die unschuldige Bemerkung und den harmlosen Scherz als bösartige Drohung interpretieren, während die unzüchtige Schmeichelei für Tugend genommen wird.« Quire wurde freundlich. »Was hat sie dir erzählt, Junge?«
    »Was ich Euch sagte. Daß Ihr sie belästigt und eingeschüchtert habt. Und das mit den lüsternen Händen.«
    Quire streckte seine behandschuhten Hände vor sich, als gelte es, bei der Inspektion Spuren lüsterner Berührung an ihnen zu entdecken. »Ich glaube kaum, daß ich sie überhaupt berührt habe. Sie holte meine Kleider zum Waschen und Flicken ab. Gab es in demselben Gasthaus einen anderen Kunden, dessen Kleider sie holte?«
    »Ihr wart es. Ihr seid bekannt als ein wahrer Fürst des Lasters.«
    »In der Tat?« Quire lachte erheitert. »Bin ich das wirklich? Bei wem?«
    »In den Wirtshäusern der Gegend reden alle davon.«
    »Und du glaubst ihnen, diesen Lästermäulern? Weil ich mich nicht unter die Menge mische, werde ich beneidet, bin ich ein Geheimnis, werde ich eine skandalumwitterte Gestalt. Weißt du nicht, daß es Leute gibt, die ehrliche Menschen der Laster bezichtigen, die sie selbst nicht ausüben können oder auszuüben wagen?« »Was?«
    »Selbst du, mein Junge, mußt dich solchen Hirngespinsten hingeben. Du hörst, daß ein Mann schlecht ist – und du überlegst, was du an seiner Stelle tun würdest. Nicht wahr?« Eine Kutsche ratterte vorüber, gezogen von vier stattlichen Apfelschimmeln, ganz knarrendes Lederzeug und lackiertes Holz , die Fenster verhangen, einen seltsamen Geruch von Moschus und gebratener Ente hinterlassend, als ob eine reiche Hure wahrend der Fahrt dinierte. Der schwarze Hengst drehte sich tänzelnd, und der Junge mußte ausweichen und näher an Quire herangehen.
    »Ein guter, kräftiger Stock«, bemerkte Quire. »Ist er für mich
    bestimmt?«
    »Ihr schwört, daß Ihr Alys nicht angerührt habt?« Starling
war vollständig verwirrt.
»Was sagt sie, hätte ich getan?«
    »Ihr hättet sie gezwungen, sich zu zeigen … zu entblößen.«
    Quire machte ein strenges Gesicht. »Ich kann mich nicht er
    innern, jemals eine Hand an sie gelegt zu haben.« Seine Finger umfaßten das freie Ende des Stocks, den der Junge hielt. »Aber ich werde dieser Sache auf den Grund gehen, wenn ich kann. Laß uns die Geschichte zusammen analysieren, eh? Bei einem Krug Bier? Es könnte sein, verstehst du, daß ich unabsichtlich eine Geste machte, die sie falsch verstand.«
    Starling nickte, beeindruckt von Quires Ernsthaftigkeit. »Es ist möglich. Ich würde keinen Ehrenmann zu Unrecht beschuldigen.«
    »Das sehe ich dir an. Du bist ein feiner, aufrechter Junge. Du hast ein Empfinden für das Unglück anderer. Bist aber ein wenig rasch, jenen beizuspringen, die es nicht immer verdienen, wie? Auch das sehe ich deinem Gesicht an. Kein Wunder, daß du geliebt wirst, denn du hast eine Schönheit, die einem jungen Mann selten zuteil wird.« Quire nahm dem Jungen den Stock ganz aus der Hand und lehnte ihn gegen die Wand, legte ihm kameradschaftlich den Arm auf die Schulter. »Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich Vater eines so mannhaften Sohnes wäre, wie du es bist, Phil.«
    Von Quires unerwarteter Schmeichelei euphorisch erwärmt, überließ Starling sich der angenehmen Empfindung und war verloren.

    DAS SECHSTE KAPITEL

    In welchem Königin Gloriana fortfährt, ihrer vertrauten und hoffnungs
    losen nächtlichen Suche nachzugehen

    Das scharlachrote Licht, welches die kleine Kammer erfüllte, kam von einem halbend Dutzend hängender Kerzen in Pergamentschirmen nach der Art des Hofes von Cathay. In diesem Licht und seinen dunkleren, bräunlichroten Schatten wanderte die Königin ruhelos auf und nieder, knetete die Hände ineinander, rieb sich das Gesicht, öffnete und schloß die Finger, umklammerte wie fröstelnd ihre Oberarme, strich sich nervös über Flanken und Hüften und zeigte insgesamt ein Verhalten, als fürchte sie, daß ihr zitternder Körper von einem Augenblick zum anderen in Stücke zerbersten möchte. Sie trank Wein aus einem rubinfarbenen Glas

Weitere Kostenlose Bücher