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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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neben einer rubinfarbenen Karaffe, sie nestelte und zerrte an ihrem Nachtgewand aus in Wolfspelz gefaßter Seide, an den leinenen Beinkleidern, die sie darunter trug. Sie fuhr sich mit langen, schmalen Fingern durch das kastanienbraune Haar; sie verhielt vor dem Kaminfeuer, als hoffte sie, die Hitze würde die unerträgliche innere Spannung von ihr nehmen. »Lucinda!« sagte sie mit gequälter Stimme. Es war beinahe ein Aufschrei.
    Aus aufgehäuften Kissen in einer Ecke blinzelte schläfrig ein dunkelhäutiges Kind.
    »Nein!« Gloriana winkte ab und ließ das Mädchen weiterschlafen. Ihr Gewissen ließ nicht zu, daß sie das Mädchen weiter ermüdete. Außerdem war ihre zärtliche Stimmung verflogen, schon viel früher am Abend, und nun verlangte sie nach Sinnenkitzel als ihrem einzigen Ersatz für Befriedigung. Sie nahm den Schlüssel vom Kaminsims, zog schwere Vorhänge zurück und sperrte die Tür zu Räumen auf, die noch geheimer
    waren als jene, in denen sie sich aufhielt.
    Eine kurze Treppe führte sie hinauf in barbarischen, flackernden Fackelschein, in einen kleinen Saal von asymmetrischer Pracht, dessen Decke, überschäumt von leichter, luftiger Stuckdekoration, gleich den Wogen der See einmal höher und dann wieder niedriger war und dessen Wände mit großen Edelsteinen besetzt waren, als wäre es eine Märchenhöhle, dessen Teppiche unter ihren bloßen Füßen weich nachgaben, dessen stuckgerahmte Wandfresken Szenen antiker Lebenslust zeigten. Am anderen Ende des Saales nahmen zwei Riesen Haltung an, als sie der Königin ansichtig wurden. Einer war ein Albino, rotäugig, weißhaarig und muskulös, der andere ein Neger mit schwarzen Augen, schwarzem Haar und dennoch der identische Zwilling des Albinos. Der Kaufmann und Abenteurer, der diese zwei zusammengebracht hatte, hatte den Albino in Moskau und den Mohren in Nubien entdeckt und die beiden, da er Handelsrechte in Albion wünschte, der Königin zum Geschenk gemacht. Nun verneigten sie sich in gleichbleibender Verehrung und erwarteten ihre Anweisungen; aber Gloriana ging mit einem freundlichen Wort an ihnen vorüber, stieß die Türflügel auf und gelangte in einen weiteren, dunkleren Raum, in dem es nach erhitztem Fleisch, nach Blut und salzigen Säften roch, denn hier pflegten ihre Flagellanten zusammenzukommen, Männer und Frauen, deren höchster Lebensgenuß darin lag, die Peitsche zu spüren oder zu schwingen. Und als sie vorbeiging, hoben einige von ihnen den Kopf und erinnerten sich des Entzückens, das sie unter ihren kundigen Fingern genossen, und andere starrten und gedachten der verwundeten Flanken ihres unverletzlichen Körpers und riefen ihr nach, aber heute folgte sie ihnen nicht. Ein kurzer Verbindungsgang, ein weiterer Schlüssel, und sie war unter ihren Jungen und Mädchen, lächelnd, aber ungeduldig, als sie weiterschritt, durch eine Flucht von Zimmern, wo ihre Liebesdiener beiderlei Geschlechts sich vor ihr verneigten und Grußworte flüsterten. Und hinter ihr, halb Klagelied und halb Verherrlichung, ihr Name: Gloriana, Gloriana, Gloriana …
    Vorüber an den Tieren und ihren Liebhabern, an frigider Schönheit und sinnlicher Häßlichkeit; vorüber an alten Männern und jungen Burschen, an den Nackten und den phantasievoll Herausgeputzten; vorüber an Bädern von Milch oder Wein oder Blut, an Richtblöcken und Betten und Galgen – wer hier lebte, der tat es aus freien Stücken und hatte darum gebeten, denn Gloriana hielt niemanden gegen seinen oder ihren Willen zurück; vorüber an ihren jungen Mädchen, an ihren Matronen, den Kinderstuben, Schulen und Gymnasien, Bibliotheken und Theatern; vorüber an den Blinden, den Verrückten und den Übervernünftigen, den Verkrüppelten, den Stummen und den Tauben; vorüber an Unschuldigen und Wollüstigen, an großmütigen und gierigen Gesichtern, an Unförmigen und Schönen, dünnen, fetten, feingliedrigen und gewöhnlichen Körpern; vorüber an Edlen und Gemeinen … Gloriana, Gloriana, Gloriana …
    Vorüber an Orgien, Banketten, Spielen und Tänzen, an Musikanten, Gladiatoren und Athleten; durch blasse und seltsam formlose Gemächer, durch andere, die seltsam geformt, dunkel und bevölkert waren, ausgestattet mit den Schätzen der Welt; durch Hallen, Galerien, Schlafsäle, vorbei an Statuen und Gemälden … Gloriana, Gloriana, Gloriana!
    »Oh!« Sie schluchzte, beschleunigte ihren Schritt. »Ah!«
    In einem stillen Raum. Haarige Männer, riesige und träge, blickten von der Stelle auf, wo

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