Gloriana
versprach, denn sie sollte als die Norne Urd geröstet werden. Anderen war ähnliches Leid vorbestimmt, da es einen Thor, einen Odin, eine Hei und alle anderen Göttergestalten geben sollte. In Meister Wheldrakes Aufführung, die sich ganz der Mythologie des Nordens verschrieben hatte und Der Vorabend von Ragnarök betitelt war, war Gloriana ausersehen, die Freyja zu verkörpern, die Königin der Götter. Alles das geschah zu Ehren Großpolens, das beide Ufer der Ostsee beherrschte. Una, die auf der weit im Norden Albions gelegenen großen Insel Ynys Scaith beheimatet und begütert war und infolgedessen mit diesen Göttern im Übermaß vertraut war, sah in ihnen ein äußerst langweiliges Pantheon und verabscheute die gegenwärtig am Hofe grassierende Neuerungssucht, die ihre bevorzugten klassischen Stoffe aus der Mode gebracht hatte.
Ihre Pfeife brannte aus, und sie erhob sich mit einem Seufzer, um sich von ihren Zofen herrichten und mit einem Umhang aus rotem, pelzverbrämtem Samt versehen zu lassen, dessen große Kapuze ihr Gesicht überschattete. Die Mädchen geleiteten sie zur äußeren Tür ihrer Gemächer (die in Wirklichkeit eher einem ganzen Haus glichen, das, wie zahlreiche andere, in die Strukturen des Palastes eingebettet war und an einem großen Innenhof lag, in dessen Mittelpunkt ein künstlicher See samt einer ansehnlichen künstlichen Insel war). Der geschlossene Schlitten der Königin erwartete sie, und Lakaien in ausladenden Baretts, kurzen, brokatbesetzten Heroldsröcken und geschlitzten Überfallhosen in Gelb und Blau hielten ihr den Schlag, als sie einstieg und in Dunkelheit und weiche Polster sank. Ein Ruf, ein Peitschenknall, und der Schlitten ruckte an und begab sich auf die kurze Reise zum reichgegliederten Torgebäude der königlichen Gärten und einem Spalier der Palastwache unter dem Kommando des trefflichen Lord Rhoone, dessen Atem bei jedem Befehl in einer dichten, weißen Wolke seinem Munde entwich und Una daran erinnerte, wie kalt es war. Sie ließ ihre Hände in dem Muff unter ihrem Umhang und starrte unfroh zum dunkelnden Ziergarten hin, der fahl und leblos im wieder einsetzenden Schneefall lag. Es schien ihr, als ob der Winter immer tiefer würde und niemals ein Ende nehmen möchte, es sei denn mit dem Ende der Welt, und mit einem fröstelnden Schauer fand sie sich an die Geschichten von den Ländern des ewigen Winters erinnert und überlegte mit morbidem Genuß, ob es vielleicht wirklich der Vorabend von Ragnarök sei und daß das Chaos und die alte Nacht sie ein für allemal verschlingen mochten. Sie gähnte. Wenn die Götter sich wieder durch Zeichen und Taten auf Erden manifestieren wollten, wie sie es in der legendären Vergangenheit getan hatten, so meinte Una imstande zu sein, sie zumindest als eine Erleichterung ihrer Langeweile begrüßen zu können. Nicht, daß sie an jene schrecklichen prähistorischen Fabeln glaubte, obgleich sie nicht umhin konnte, zu wünschen, daß sie sich wirklich zugetragen hätten und daß sie in ihnen gelebt haben möchte, denn es mußte sicherlich eine farbigere und anregendere Zeit als diese gegenwärtige gewesen sein, in welcher stumpfe Vernunft das Romantische vertrieb: Granit, der das Quecksilber zerstreute.
Mit diesen Gedanken im Sinn begrüßte sie die platingekrönte Königin, als diese zu ihr einstieg. »Bei Arioch!« rief sie lächelnd. »Ihr seid wunderbar geziert!«
Gloriana erwiderte das Lächeln, erleichtert durch Unas vorsätzliche Gewöhnlichkeit (es galt als geschmacklos, die Namen der Alten Götter anzurufen). Sie war in Hermelin, weiße Seide, Perlen und Silber gekleidet, denn in dieser Nacht mußte sie die Schneekönigin darstellen; und von allen wurde erwartet, daß sie dieses Motiv in Abwandlungen widerspiegelten, wenn sie ihrer Hofhaltung angehörten. Una trug unter ihren Umhang ein Kleid aus blaßblauer Seide, einen weißen Spitzenkragen wie aus Schneekristallen, weiße Unterröcke, geschmückt mit kleinen blauen Schleifen, die eine abgewandelte Reminiszenz der Schäferin des vorausgegangenen Frühlings waren.
Unterdessen bestiegen die Soldaten der Leibwache in ihrem Gefolge Schimmel, zogen silbrig schimmernde Umhänge über ihre traditionellen Uniformen, setzten weiße Biberfellmützen mit weißen Federn der Schneeule auf und machten sich bereit. Lord Rhoone, dessen schwarzer Bart auf das erstaunlichste von all dieser Blässe abstach, ritt heran und beugte sich aus dem Sattel, um forschend zum Fenster
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