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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Eine Liebe, wie Sir Tancred sie Lady Mary entgegenbrachte, hatte sie selbst nie gekannt, obgleich ihr armes, krankes Gehirn träumte, sie einstmals zu besitzen. Aber es war ein langweiliger Tag für die verrückte Frau. Weder Sir Tancred noch Lady Mary waren zugegen. Lord Rhoone war an seinem Schreintisch eingeschlafen und schnarchte in seiner Uniform, das schwarzbärtige Kinn auf der fleckigen grünen Halskrause. Auch Sir Amadis Cornfield saß an seinem Schreibtisch, aber er war über seine Rechnungen und Quittungen gebeugt, die Finger schwarz von Tinte. Una, die Gräfin von Scaith, entledigte sich der beengenden und komplizierten Hoftracht, die sie hatte tragen müssen, während sie stellvertretend für die Königin den arabischen Botschafter unterhalten hatte. Die verrückte Frau unterließ es, durch den beschwerlichen Schacht abzusteigen, der den Weg zu Lord Montfallcons Arbeitsräumen öffnete, da sie dort niemanden anzutreffen erwartete. Sie erwog einen Besuch des Serails, aber auch das wäre nur geeignet, sie zu deprimieren. Sie schaute eine Weile den Komödianten zu, die den Mummenschanz einstudierten, welchen sie am kommenden Abend bei den Festlichkeiten zum Dreikönigstag aufführen wollten, aber sie interessierte sich nicht sehr für symbolische Darstellungen, die sie nicht verstand. Sie kehrte zurück zu ihrer Krypta und ging auf der anderen Seite der vergessenen Orangerie mit ihren staubigen und von Spinnweben behangenen Glasscheiben dahin, als sie eine Schattengestalt bemerkte, die Lord Montfall cons geheimem Eingang zustrebte. Sie hielt inne, verborgen im tiefen Halbdunkel, um zu sehen, wer den Lordkanzler auf diesem Weg besuchte.
    Es war Tinkler. Er war munter und elegant gekleidet.
    Die verrückte Frau zog sich tiefer in die Dunkelheit zurück, falls Tinkler in ihre Richtung blicken sollte. Dieser Halunke, den sie schon in ganz anderem und weit schäbigerem Aufzug gesehen hatte, stand ohne Zweifel in Montfallcons Diensten und war gekommen, seine Instruktionen zu empfangen. Bis zum Morgen würde der König von Polen gerettet sein; soviel wußte sie aus abgehörten Diskussionen des Planes. Sie kicherte zu sich selbst und schüttelte den Kopf in Bewunderung ihrer beiden Helden – Montfallcon, den sie sich als Vater erträumte, und Quire, den sie sich zum Liebhaber wünschte. Die Ereignisse schienen genau den geplanten Verlauf zu nehmen.

    DAS NEUNTE KAPITEL

    Die Königin und ihr Hof feiern die zwölfte und letzte
Nacht des Julfestes

    Una von Scaith sog tief an der Tabakspfeife und reckte sich behaglich auf ihrer Ottomane. Sie lag auf der waldreichen Schäferidylle (Schäferinnen, Nymphen und Faune, Diana und ihre Gefährtinnen) der prachtvoll gewirkten Überwurfdecke vor einem hell lodernden Kaminfeuer, den Reifrock schief wie eine auf der Seite liegende Glocke, das Mieder geöffnet, die steife Halskrause auf einer Seite ihrer kunstvollen Frisur, in der Perlenketten schimmerten. Sie erfreute sich der wenigen Minuten vor den Zeremonien und Festlichkeiten, an denen sie als Freundin der Königin teilnehmen mußte. Sie strich den rostroten Rücken einer großen Katze, die an der Ottomane schlief, und gab sich den Freuden des Tabakrauchens hin, während ihre Zofen im Nebenzimmer den Rest ihrer Ausstattung vorbereiteten.
    Die Gräfin haßte öffentliche Ereignisse, insbesondere solche, bei denen sie eine Funktion auszuüben hatte. An diesem Abend hatte die Königin sie beauftragt, das Programm zu Beginn eines jeden Abschnitts anzukündigen, was darauf hinauslief, daß sie während der ganzen Feierlichkeiten würde anwesend sein müssen, von der Verteilung mildtätiger Gaben an die Bedürftigen bis zum Abschlußfest, das gewiß bis in die frühen Morgenstunden fortdauern würde. Damit nicht genug, sollte die gesamte erste Hälfte des Abends auf dem Eis bei Westminster verbracht werden, wo der Fluß so dick zugefroren war, daß man darauf hatte Freudenfeuer entzünden und ein Schwein am Spieß braten können (am vergangenen Abend hatte ein geschäftstüchtiger venezianischer Gasthausbesitzer dies mit beträchtlichem Gewinn getan), und sie würde, wie alle anderen, bis auf die Knochen durchfrieren und in der Not, wie alle anderen, allzu kräftig dem Glühwein zusprechen, der das Hauptgetränk und die wichtigste Wärmequelle sein würde. Für die späteren Stunden war der Maskenball im großen Festsaal angesetzt, in den phantasievollsten Verkleidungen und Kostümen, der weiteres Mißbehagen zu bringen

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