Gloriana
zurechtgemachte Kostüm seiner Gefährtin, die kleine Flitterkrone auf dem frisierten Kopf, das weißgepuderte Gesicht mit den übertrieben groß hervorgehobenen Augen und den grellrot geschminkten Lippen – alles das war eine augenfällige Parodie auf die Königin, wie sie während der Festlichkeiten auf dem Eis erschienen war.
Tinkler, den der Ledermantel vor Verbrennungen bewahrt hatte, sperrte die Augen auf. »Beim Hermes, Kapitän, was hat das zu bedeuten?«
»Unsere eigene Königin, Tink, die gekommen ist, ihr Volk zu sehen. Bezeigt ihr Euren Respekt, Sir Tinkler. Laßt uns sehen, ob Ihr eine anständige Verbeugung zuwege bringt.« Und Tinkler, wie gewöhnlich von Quires aufgeräumter Stimmung angesteckt, ging sogleich auf das Spiel ein, riß sich mit tiefer Verbeugung die schmierige Kappe vom Kopf und reckte die vorstehenden Zähne in einem schiefen Grinsen aufwärts. »Willkommen, Euer Majestät, am Hof des – Königs Fusel!« Er kicherte und schwankte, bekam den feisten Wirt zu fassen, der mit zwei Bierkrügen in jeder Hand vorbeieilen wollte. »Darf ich Euer Majestät Lord Grunz von Hogge und …« – er zerrte das Mädchen, welches ihn ins Feuer gestoßen hatte, am Handgelenk zu sich – »Lady Sau vorstellen, seine schöne Gemahlin.« Sie stieß ihn wieder, und er setzte sich in den Schneematsch des Hofes und zog sie mit sich, daß sie kreischend über ihn fiel. Darauf rappelte er sich grinsend auf, erneuerte seine Verneigung und fragte: »Aber welche Königin ist es, die wir ehren? Wie ist ihr Name?«
»Wieso, es ist Philomena«, sagte Quire, als er sich aus sei
nem Bärenfellmantel befreite, daß sein eigener schwarzer Umhang darunter zum Vorschein kam. Er zog seinen zusammengefalteten Hut aus dem Gürtel, drückte ihn zurecht und strich die Krähenfedern glatt. »Königin Philomena – die Königin der Liebe!« Quire zwickte seine Königin in die gepuderte Wange, dann ins Hinterteil und bewirkte damit ein albernes Lächeln, obwohl die großen, dunklen Augen ein wenig erschrocken und wachsam blieben. Quire nahm einen von Hogges Bierkrügen für sich, einen zweiten für seine Königin, und führte sie näher zum Feuer. »Meine Damen und Herren vom Greifen, verehrte Anwesende. Ich bitte um ein Hoch auf unsere Herrscherin, Königin Philomena, die diese Nacht zu einer Nacht der Liebe erklärt hat und alle einlädt, in ihrem Namen zu feiern.«
Als die Menge in Hochrufe auszubrechen begann und einige Stimmen Quires Königin unflätige Gelöbnisse zuriefen, blickte der Kapitän in gespielter Verblüffung umher.
»Ich sehe keinen Thron. Was ist aus ihm geworden? Wo ist der große Staatssessel der Königin? Worauf soll sie sitzen?« Die Antwort war laut und konventionell. Quire hob die Hände. »Ihr seid schlechte Gastgeber. Sir Harlekin hier wird euch sagen, daß die Gäste der Königin besser behandelt wurden.« Er legte den Arm um die flickenbesetzte Schulter des Komödianten, der sich ihm mit einem theatralischen Schluckauf zuwandte, seiner Befehle harrend. »Alle hatten Stühle, nicht wahr?« »So war es, Sir.« »Gute, solide Stühle?«
»Ausgezeichnete Stühle, Sir. Eure Königin ist eine Schönheit, und ich möchte schwören, sie …«
Aber schon wurde ein großer, hochlehniger Stuhl über die Köpfe der Menge weitergereicht und so aufgestellt, daß er vom Feuerschein im Rücken umrahmt wurde. Quire verneigte sich. »Setzt Euch, Majestät, ich bitte Euch.« Mit einem unbeholfenen Hofknicks setzte die Spottkönigin sich auf ihren Thronsessel und ließ den Blick über ihre neugefundene Hofgesellschaft schweifen, die offenen Mundes zurückstarrte. Es schien, daß sie betrunken war oder unter dem Einfluß von Drogen stand, denn ihre Augen waren glasig, und ihr Mund bewegte sich seltsam. Gleichwohl zeigte sie sich für Quire zugänglich genug, wann immer er sie kitzelte, am Ohr leckte und hineinflüsterte.
»Ha, der Kalif wäre begeistert von dir, Phil«, grinste Quire und drückte seine Konkubine enger an sich.
Und Phil Starling lächelte seinem Liebhaber und Herrn zu und sah den wunderschönen Rubinring an seinem Finger an und konnte nicht glauben, daß solche Reichtümer ihm gehören konnten.
DAS ZEHNTE KAPITEL
In welchem einige Untertanen der Königin eine Anzahl von alchimisti
schen, philosophischen und politischen Problemen erwägen
»Es schien so dauerhaft«, sagte Lady Lyst, die auf ihrem Fenstersitz kniete und in den Februarmorgen hinausblickte. »Ich dachte, der Schnee würde
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