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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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er ein mageres Knie entblößt hatte.
    Herein schritt der Thane von Hermiston, hager, aber energisch, in Schottenrock und Kappe, bei jedem Schritt schlug die Ledertasche an seinen Schenkel, die Hände hatte er bereits in die Hüften gestemmt, als er den roten Bart vorreckte und auf das Paar am Fenster herablächelte. »Welch ein hübsches Pärchen, frisch aus den Betten wie träge Kätzchen, wie? Gut, gut, gut!«
    Wheldrake schwang sein Manuskriptblatt. »Ich habe gearbeitet, Sir«, entgegnete er mit verletztem Stolz. »Den ganzen Morgen habe ich mich damit abgemüht!«
    »Tatsächlich? Ich habe den ganzen Morgen damit verbracht, fünf Welten zu durchqueren, Meister Wheldrake, nur um hierherzukommen und alte Freunde zu besuchen.«
    Lady Lyst klatschte in die Hände, dann hielt sie inne, wie erschrocken von dem Geräusch. »Und was habt Ihr von jenen metaphysischen Regionen zurückgebracht?«
    »Eure üblichen derben Romanzen?« fragte Wheldrake skeptisch. »Geschichten von Göttern und Dämonen, von Schwertern und Zauberei?«
    Der Thane von Hermiston ignorierte die Sticheleien. »Ich dachte, ich hätte eine Bestie gefangen, doch als ich hier eintraf, war sie fort. Ich beabsichtige später mit Meister Tolcharde zu konferieren, der das Fahrzeug erfand, mit welchem ich zu jenen Sphären reiste.«
    »Eine von Geistern gezogene Karosse, wie?« sagte Wheldrake. »Denselben Geistern, die Euch die Träume eingaben.« Der Thane lachte herzhaft. »Ihr gefallt mir, Meister Wheldrake, denn Ihr seid ein feiner Skeptiker, wie ich selbst. Ich sagte Euch, ich habe diese Bestie gefangen. Ein gewaltiges Reptil. Ein veritables Drachenungeheuer. Es wird Alligator genannt.«
    »Die gibt es in den südlichen Bezirken Virginias«, sagte Meister Wheldrake. »Sie leben in den Sümpfen und Flüssen, gewaltige Bestien. Ich habe eine ausgestopfte gesehen. Wie das Krokodil des Tigris.«
    »Aber dieses ist größer«, sagte der Thane verdrießlich, »oder war es«, fügte er hinzu. »Meister Tolchardes Fahrzeug stieß und rumpelte dergestalt, daß ich mich kaum zu halten vermochte, und ich schwöre, seine unsichtbaren Begleiter spielten dem armen Sterblichen, den sie geleiteten, einen üblen Streich. Ich bekam einen furchtbaren Schlag auf den Kopf, nachdem ich bereits gegen zwei Halbgötter gekämpft und unversehrt überlebt hatte.«
    »Beim Hermes, Sir, ich werde nie wissen, ob Ihr selbst an alles das glaubt, inspiriert von jenem schädlichen destillierten Korn, den Ihr trinkt, oder ob Ihr lügt, weil Ihr meint, es sei unterhaltsam.«
    Der Thane nahm das hin, ohne in Zorn zu geraten. »Keines von beiden, Meisterpoet – es ist einfacher. Ich sage die Wahrheit. Ich hatte auch ein Einhorn, aber es wurde von dem Alligator gefressen.«
    »Ihr reist durch Länder, die nichts als bloße Metaphern sind! Von der Art, die wir Poeten täglich erfinden können!« »Aber ich bin kein Poet, um solche Orte zu erfinden. Statt dessen besuche ich sie. Lady Lyst, kommen Sie mit mir zu Meister Tolchardes Werkstatt?« »Ich werde mich umkleiden!«
    »Ich komme auch mit.« Wheldrake war eifersüchtig, obgleich er wußte, daß die Freundschaft unschuldig war. »Es sei denn, es gäbe Geheimnisse, welche die Erwählten allein miteinander zu teilen wünschen.«
    »Es gibt keine Geheimnisse, Meister Wheldrake, nur Wissen. Das offene Wissen ist es, was die Menschen stets zurückweisen, obwohl sie überall nach Geheimnissen Ausschau halten.« Während Lady Lyst sich umkleidete, stöberte der Thane im Zimmer umher, nahm halbgeschriebene Thesen auf, die Lady Lyst unvollendet aufgegeben hatte, öffnete Bücher über Philosophie und Mathematik und Geschichte, über Alchimie und Astronomie, wenn ihn gleich nichts davon interessierte. Er war ein Mann der Tat. Er zog es vor, eine metaphysische Vermutung wenn irgend möglich mit der Spitze seines Degens zu erproben. Lady Lyst kam wieder zum Vorschein, nun in ein wenig zerknitterter blauer Seide, und sie schlossen sich dem Thane an, als er die Gemächer verließ, durch die königlichen Korridore marschierte, die königliche Treppe hinauf, die königlichen Galerien entlang, bis sie einen älteren Teil des Palastes erreichten, den Ostflügel, wo ihre Nasen beißende Gerüche wie von kochenden Chemikalien und schmelzendem Eisen zu wittern begannen, erstieg eine breite, in Verfall geratene Marmortreppe, darauf zwei Fluchten von Granitstufen und gelangte zu einer Galerie mit verblichenen, staubigen Vorhängen und einem großen ovalen

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