Gloriana
überbringen?«
»Das werde ich natürlich tun, Sir. Wir sind beide loyale Männer, Sir.«
»Gut.« Montfallcon nahm einen verschlüsselten Brief aus Böhmen vom Tisch. »Macht ihm klar, wie sehr ich ihn vermisse, wie sehr das Reich seiner bedarf, in welch hohem Maße seine Geschicklichkeit und seine … ah … Kunst hier gewürdigt wird.«
»Das ist, worüber er sich Gedanken machte, Milord. Das.« »Was?«
»Ob Ihr wirklich zu würdigen wüßtet, wie geschickt und klug er die Aufträge ausführte, die Ihr ihm gabt. Mit welcher Vollkommenheit er seine Pläne ausarbeitete und ausführte, um alles ganz sauber zu machen, den Argwohn abzulenken und weitere Informationen zu bringen, die von Nutzen sein mochten. Um schädlichen Gerüchten und übler Nachrede ein Ende zu machen. Er betrachtete sich als ein Künstler, Milord; wie ein Dichter sich sieht.« »Und mich?« »Als sein verständnisvolles Publikum.«
Lord Montfallcon seufzte und ließ die verschlüsselte Nachricht aus Böhmen aus der Hand fallen.
In einer Anwandlung von Aufrichtigkeit, die augenscheinlich gegen seine eigenen Interessen war, platzte Tinkler heraus: »Er ist ermordet, Milord. Ich weiß es. Er ist tot. All diese Klugheit und all der Mut, verloren und dahin!«
»Bringt mir den Beweis dafür, Tinkler, und ich werde Euch sehr gut bezahlen. Oder bringt mir Beweise dagegen, und ich werde Euch genauso gut oder besser bezahlen. Bringt mir Kapitän Quire lebendig in diesen Raum, Meister Tinkler, und ich garantiere Euch eine ansehnliche Pension für den Rest Eures Lebens.«
Tinkler ließ den Kopf hängen, dann blickte er schnell auf, als wäre ihm ein weiterer Gedanke gekommen.
Lord Montfallcon lächelte grimmig. »Und in der Zwischenzeit, Tinkler, bringt mir alles, was Ihr an Nachrichten aus fremden und ausländischen Quellen in Erfahrung bringen könnt. Eure Beschäftigung ist gesichert.«
Tinkler verbeugte sich und ging zur Geheimtür, um entlang der Peripherie jener vergessenen Gewölbe und Katakomben, die gleich dem Totenreich der Unterwelt im und unter dem Palast verborgen waren, ungesehen, wie er gekommen war, den letzteren zu verlassen.
Während Tinkler mit einiger Erleichterung in den feuchten, hellen Apriltag hinaustrat, zwang Lord Montfallcon sein geplagtes Gehirn, sich mit der Frage des bevorstehenden Frühlingsfestes zu beschäftigen, aus welchem Anlaß die Königin verschiedene Würdenträger auszeichnen und eine Unzahl von geringeren Staatsdienern und Honoratioren beschwichtigen mußte. Er war dankbar, daß die Hauptarbeit Gallimari zufallen würde, dem Leiter der Hoflustbarkeiten, und daß er selbst nur mit den diplomatischen Problemen befaßt sein würde. Solche Probleme nahmen immer viel kostbare Zeit in Anspruch, aber wenigstens waren sie nicht besonders wichtig. Öffentliche Feierlichkeiten und Anlässe wie das Frühlingsfest waren darin bedeutsam, daß sie der Bevölkerung die Gegenwart der Königin vor Augen führten und sie von ihrer mütterlichen Fürsorge für das Volk und von Albions Größe, Reichtum und Macht überzeugte.
Er fand Meister Wheldrakes Verse, die ihm am Vortag auf sein Verlangen hin zugesandt worden waren, und las sie sorgfältig durch. Er war Wheldrake gegenüber immer ein wenig mißtrauisch gewesen, seit der Dichter, dem ein Ruf von Sinnlichkeit und Mangel an Ehrfurcht vorausgegangen war, seine Berufung an den Hof erhalten hatte; aber es gab keinen Zweifel, daß Wheldrakes Arbeit sich unter dem Einfluß und der Etikette des Hofes beträchtlich verbessert hatte. Montfallcon bedauerte, daß er die Liste der Personen, die anläßlich des diesjährigen Frühlingsfestes geehrt, ausgezeichnet oder in den Adelsstand erhoben werden sollten, bereits fertiggestellt und gesiegelt hatte; aber er beschloß, der Königin im kommenden Jahr vorzuschlagen, einen Mann, der die Mysterien und Verantwortlichkeiten in der Sache Albions so gut zu verstehen schien, wenigstens zum Baron zu machen.
DAS SECHZEHNTE KAPITEL
Königin Gloriana feiert die Ankunft des Frühlings und gewahrt die
ersten Vorzeichen einer zukünftigen Tragödie
In einem Gewand aus Weiß und Grün, bestickt mit winzigen Butterblumen, Gänseblümchen und Märzenbechern, auf einer offenen Sänfte sitzend, deren Rahmen und Tragstangen mit Girlanden aus Efeu, Goldlack, Glockenblumen und Ringelblumen umwunden waren, wurde Königin Gloriana von ihren bevorzugten Höflingen in den weiten, mauerumgürteten Park hinter dem Palast getragen. Hier schaute
Weitere Kostenlose Bücher