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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Herausforderung vorlegen würde.
    Gewißheit gab es freilich keine. Weil er einmal falsch geurteilt hatte, hatte er etwas von seinem Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit verloren: Er war gegen Fehlurteile nicht gefeit. Ächzend arbeitete er sich aus Bettlaken, die nach Lavendel und Schweiß stanken. Er mußte sich auf den Tag vorbereiten. Der Spitzbube mit dem Raffzahn, Quires Leutnant und Vertrauter, in seiner schmierigen Fellkappe, dem übergroßen Ledermantel, dem tressenbesetzten Wams, den geflickten Pumphosen und den Stulpenstiefeln, der im kleinen Vorzimmer auf Lord Montfallcon wartete und mit abgewinkeltem Degen und auswärts gestelltem Spielbein posierte, war ein Anblick, der Montfallcon an diesem Morgen ermutigte, so daß er Tinkler beinahe fröhlich begrüßte, sich nach seiner Gesundheit und seinem sonstigen Befinden erkundigte. Geschäftig eilte er in seinem üblichen Grau und Schwarz zu seinem Arbeitstisch, wo sich, wie es schien, mehr Papier als gewöhnlich angesammelt hatte. Er runzelte die Stirn. »Nun, Meister Tinkler?« »Milord?« »Ihr habt Nachricht von Kapitän Quire?«
    »Nein, Milord. Nichts Gewisses. Ich kam, weil ich dachte, Ihr könntet mir Mut machen. Auch wachsen die Schulden, müßt Ihr wissen, und der Kapitän hat mich seit einem Monat nicht bezahlt. Ich arbeite noch immer für ihn …«
    Montfallcon überflog einen Brief aus Bantustan. »Eh? Was ist es dann, Meister Tinkler? Ihr seid um Gold gekommen?« »Oder Silber, Sir. Etwas, was mich erhält, bis Kapitän Quire zurückkehrt, oder …« »Habt Ihr nichts von Quire gehört?«
    »Es gab Gerüchte, Milord, das ist alles. Als wir Euch das letztemal besucht hatten, gingen wir gemeinsam zu der Mauerpforte an der Nordseite hinunter, die wir gewöhnlich benutzen, und trennten uns dort mit der Übereinkunft, einige Stunden später in einem Gasthaus zusammenzutreffen. Er kam nicht dort hin und ist meines Wissens seither nicht wieder dort gesehen worden. Das Gerücht betrifft ein Handgemenge bei der bewußten Mauerpforte. Der Kapitän oder jemand, der ihm ähnlich war, wurde angegriffen und fortgeschleppt, entweder tot oder verwundet.« »Von wem?«
    »Keine Zeugen, Sir. Diese Nachricht ist nur indirekt, müßt Ihr wissen. Ein Kind sah es, vielleicht, oder eine Hausfrau hinter einem Vorhang. Darauf folgten noch andere Gerüchte,
    aber Kapitän Quire war mir ein guter Lehrmeister – ich gehe
den Dingen auf den Grund und bleibe dabei, bis mehr aufge
deckt wird.«
»Ihr seid dem Gerücht nachgegangen?«
    »Gewiß, Sir, denn Kapitän Quire ist mein Freund. Und mein Wohltäter. Und mehr als das. Ich habe in jedem Haus nachgefragt. Ich erfragte die Richtung von jedem Pferdekarren, der an dem betreffenden Abend aus der Gegend bei der Mauerpforte kam. Ich zog Erkundigungen bei allen Strolchen und Beutelschneidern ein, die ich finden konnte. Es scheint, daß die Bande rekrutiert wurde und daß Kapitän Quire ihr Opfer gewesen sein könnte. Aber ich weiß nicht, wer sie sind, wer sie bezahlte oder warum sie gemietet wurden.«
    »Da habt Ihr einen Engelstaler, Tinkler.« Montfallcon streckte dem hageren Strolch die Goldmünze hin. »Und ich werde mehr für Euch haben, wenn Ihr Näheres über Kapitän Quires Aufenthalt oder sein Schicksal in Erfahrung bringen könnt. Meint Ihr, daß er tot ist?« »Es heißt, die Sarazenen hätten ihn gesucht.«
    »Es ist nicht ihre Gewohnheit, den Leichnam eines Mannes zu verstecken, an welchem sie Vergeltung geübt haben. Sie würden Quires Leiche an ein Scheunentor nageln oder ihn auf ähnliche Weise zur Schau stellen.«
    »Richtig. Ich habe mehr als eine Leiche von denen gesehen, als ich für Euch mit dem Kapitän an den Küsten des Mittelmeeres war, Milord.«
    Lord Montfallcon fragte sich, ob Tinkler es absichtsvoll sagte, um ihn der Dienste zu erinnern, die er Albion geleistet. Er blickte zu der hohlwangigen, zahnenden Vogelscheuche auf und befürchtete, daß er auch ihn falsch beurteilen und einen weiteren Quire leichtfertig fortschicken möchte.
    Aber Tinkler, froh über das Gold und begierig, ihm gefällig zu sein, ratlos und elend wie ein von seinem Herrn verlassener Hund, war kein Ersatz für den schlauen kleinen Quire. Lord Montfallcon wurde bitter. Nie hatte es einen so rasch auffassenden, zupackenden, brillanten und zuverlässigen Diener gegeben. Er hatte den Besten verloren.
    »Solltet Ihr ihn sehen, Meister Tinkler – sollte er am Leben sein –, werdet Ihr ihm meine besorgtesten Glückwünsche

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