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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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großäugiges Damwild aus den gesprenkelten Schatten von Eichen und Pappeln, während oben auf dem schwankend aufgehängten Pfad durch die Baumwipfel Trompeter ihre blitzenden Messinginstrumente an die Lippen setzten und die Königsfanfare schmetterten, Begrüßung und Triumph zugleich.
    Denn heute kam sie als Maikönigin zu dem Festplatz, wo der Maibaum aufgerichtet stand und wo die Höflinge sich bereits als Schäfer, Schäferinnen, Milchmädchen und Bauernburschen zu malerischen Gruppen zusammengefunden hatten; dazu kamen einige Amoretten und ein Pan, mehrere Faune, fünf Baumnymphen und ein gigantisches Lamm. Von dem Baumpfad, der um die Lichtung führte, und von Terrassen und Arkadengängen im Palast beobachteten viele andere vornehme Besucher die Zeremonie.
    Die Sänfte wurde zu Boden gelassen, die Herren (darunter die Gräfin von Scaith in Jägerkleidung mit Bogen und Köcher) nahmen ihre Positionen zu beiden Seiten ein, und die Gesellschaft brachte Gloriana zu neuerlichem Trompetenschall ihre Huldigung dar.
    Hoch auf einem Balkon, von dem er den Park überblicken konnte, stand Lord Montfallcon und betrachtete zuerst die hübsche Szene zu seinen Füßen und dann die graue Wolke, die im Westen aufzog, sich rasch ausdehnte und die Sonne zu verdunkeln drohte. Er hatte immer bedauert, daß er das Wetter nicht beherrschen konnte und daß Dr. Dee, der zu diesem Zweck ausgezeichnet hätte Verwendung finden können, keine

    magische Methode entdeckt hatte, um Macht über die Elemente auszuüben. Dr. Dee würde mit den anderen leiden, sollte es Regen geben, denn er war in der wolligen Verkleidung eines Satyrs unter ihnen, zusammen mit Lady Lyst, die, in blaue Seide gehüllt, eine Wassernymphe darstellte. Sir Amadis Cornfield stellte einen unziemlich eleganten Hirten dar, Lady Pamela Cornfield eine Schäferin mit Hakenstab und ausgestopftem Schaf, Sir Vivien und Lady Cynthia Rich posierten als Jägersmann und Jägerin, und Meister Ernest Wheldrake war in die kunstvolle Nachahmung eines Vogelbalges geschlüpft, der vielleicht eine Nachtigall verkörpern sollte, mit vergoldetem Schnabel und nickenden Federn, um der Maikönigin seine Begrüßung vorzutragen. Als die ersten schweren Tropfen fielen, legte Lord Montfallcon die hohle Hand ans Ohr, um der dünnen, fernen Stimme zu lauschen:

    »Es grünt die Erde, und die Himmel blauen. Der Liebe Ruf erreicht den Dummen wie den Schlauen.
    Die weise Herrschaft der Natur beglückt das Land, Das allzu lang nur Winters Leichentuch gekannt, Ermuntert Burschen nun zu Treueschwüren, Läßt auf verrücktem Flug der Mädchen Sinn entführen. Kein Antlitz soll in dieser Sonne finster dräuen; Die Erde ist erwacht, so wollen wir uns freuen!«

    Meister Wheldrake schob sich nasse Federn aus den Augen und las ein wenig rascher, da die Tinte auf dem Pergament zu

    zerfließen und die Zeilen zu verwischen begann, die er nicht auswendig gelernt hatte …

    Die Herzen schlagen höher, und die Menschen glauben; Die Zeichen künden Mithras’ Wiederkehr. Girlanden kränzen Tempel und geheime Lauben; Pan tritt herein. Genug der trüben Stunden hier! Die Glocken überall im Land, sie klingen hell und weit,
    Begrüßt doch Albions Herrscherin – die goldne Maienzeit!

    »Wohlgesetzt wie immer, Meister Wheldrake!« Die Maikönigin schwenkte ihr silbernes, mit Myrte umwundenes Zepter, während Lakaien herbeieilten, um grünes Segeltuch über den Rahmen der Sänfte zu werfen und Gloriana vor dem Regenguß zu schützen, den die anderen über sich ergehen lassen mußten, bis die Baldachine aufgespannt werden konnten.
    Regen trommelte wie tausend rennende Füße auf die Plane über ihrem Kopf, als sie das Schwert entgegennahm, das der hinkende Lord Ingleborough ihr auf einem Kissen brachte, und sie schlug wackere Seeleute zu Rittern, ehe sie ertrinken konnten, während sie auf ihren Lohn warteten. Zwei Herren wurden in den Stand von Baronen erhoben, und Lehen in Virginia wurden an nüchterne und verdiente Männer vergeben, die Lord Montfallcon für hinreichend vertrauenswürdig hielt, daß sie sich der Verantwortung des Reichtums stets bewußt bleiben und, indem sie mehr als bisher am Wohlstand des Landes beteiligt wurden, die Interessen des Reiches mit um so größerer Entschlossenheit unterstützen würden. Boten wurden mit Urkunden und Briefen fortgeschickt, ausländische Gesandte empfangen, ihre Sendschreiben gelesen, Glückwünsche entgegengenommen und erwidert. Neun Mädchen wie die Orgelpfeifen,

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