Glueck allein
Stuhls. Den Sonntag hatte ich mehr schlafend als wach verbracht, wofür ich dankbar war, da ich nur kurz, in den wenigen wachen Momenten, meiner Trauer ausgesetzt gewesen war. Nun aber war ein neuer Tag, eine neue Woche und es zweifellos an der Zeit, Ordnung zu schaffen, meine Arbeit zu gliedern. Er wollte keine Beziehung, ich konnte mich konzentrieren.
»1. Kapitel: Das geltende Recht«
Das geltende Recht? Als Überschrift zu allgemein. Durchstreichen. Oder besser gleich ein neues Blatt. Ich riss die Seite vom Block, zerknüllte das Papier zu einer Kugel und traf den Mülleimer. Früher hatte ich Florian geliebt, nun war ich frei.
»1. Kapitel: Das Recht der Eheverträge«
Auch zu allgemein. Seine Trennungen verlaufen fließend, hatte er in einem unserer wenigen Gespräche gesagt. Erst wusste ich nicht, wie er es meinte, aber nun hatte ich verstanden.
»1. Kapitel: Die Undurchdringlichkeit des heutigen Güterrechts«
Die Undurchdringlichkeit? Vielleicht war das Recht ja nur für mich undurchdringlich? Vielleicht blieb es nur mir verschlossen? Genauso wie mir die inneren Vorgänge der Männer verschlossen blieben?
Unruhig massierte ich meine Schläfen. Wie konnte er mich bloß so innig berühren, aber eine Beziehung ausschließen?
Ich schüttelte den Kopf. Es machte mir nichts aus. Ja, gut, gestern hatte es mir etwas ausgemacht, aber heute war es mir egal.
»Undurchdringlichkeit« streichen.
Pierre stand in der Tür. »Kaffee?«
»Gerne«, sagte ich sofort und folgte ihm schweigend in die Bibliothek. Noch immer sprach ich nicht im Flur, wenn ich wusste, dass Brandis im Institut war.
»Liebes, bevor du wieder fragst«, Pierre setzte sich verkehrt herum auf einen Stuhl, »Johannes ist krank.«
Als er meinen Blick sah, sagte er: »Du hättest gefragt.«
Ich öffnete das Fenster. Frischer Wind kam in die Bibliothek, die an heißen Tagen erdrückend nach vergilbten Seiten roch.
»Was hat er denn?«, fragte ich beiläufig.
»Er ist erkältet.« Pierre fing an zu grinsen. »Du kannst ihn ja besuchen. Er wohnt in dem roten Haus.«
»Nebenan?«
»Praktisch, nicht wahr?«
Er zwinkerte mir zu, aber ich reagierte nicht, so ließen wir es darauf beruhen.
Gutgelaunt begann Pierre ein Liedchen zu summen und ich spürte, wie traurig ich war. Ein Teil von mir hatte gehofft, dass Florian seine verfrühten Worte bereute. Dass er sich melden würde. Uns doch eine Chance gäbe.
»Was ist denn eigentlich mit mir los?«, fragte ich in Pierres Melodie hinein. »Warum warte ich die ganze Zeit, dass sich irgendeiner bei mir meldet? Johannes hat schon Recht. Es ist jede Woche ein anderer.«
Pierre zuckte mit den Schultern und stützte sein Kinn auf die Lehne des Stuhls.
»Liegt das an Leo? Vermisse ich ihn in Wirklichkeit?«
»Kann sein«, sagte Pierre.
»Oder suche ich à la Freud den Vater, weil er meine Mutter damals verlassen hat?«
»Nicht auszuschließen«, sagte Pierre.
»Ist es also meine Kindheit? War ich zu oft alleine?«
»Hmm...«, machte Pierre.
»Oder sind es nur die Hormone? Ist es der heimliche Kinderwunsch? Nach Leo habe ich die Pille abgesetzt. Habe ich dir das erzählt?«
»Nein, das hast du nicht«, flüsterte Pierre überfordert.
»Schon gut«, sagte ich seufzend. »Ich hätte Florian einfach bei mir schlafen lassen sollen.«
»Finde ich auch«, sagte Pierre. »Du hättest wenigstens eine Affäre mit ihm haben können.«
»Genau! Eine Affäre«, rief ich dankbar, dass er mich hierauf gebracht hatte. »Mehr wollte ich ja auch nicht.«
»Mehr wolltest du nicht«, sagte Pierre, so dass es für mich wieder unrichtig klang.
»Eine Affäre...«, wiederholte ich nachdenklich und wickelte eine Strähne um meinen Finger. Pierre summte aufs Neue dahin und seine Füße wippten im Rhythmus der Melodie.
»Nein«, unterbrach ich ihn nach nur wenigen Takten, »es sah nicht danach aus, als ob das mit mir möglich wäre. Nein, es hat ja leider an diesem Abend alles einen sehr ernsten Hintergrund bekommen. Warum habe ich ihm nicht gleich gesagt, dass ich meinen Ehemann suche?«
»Ja, warum nicht? Für mich wäre das kein Problem, wenn mir eine Frau das sagte.«
»Am ersten Abend?«
»Kein Problem«, sagte Pierre und hob Zeige- und Mittelfinger zum Schwur.
»Hach, du bist ja leider schon vergeben«, sagte ich und schmunzelte, bis ich Pierres ernsten Blick sah.
Ein Windzug schlug das Fenster gegen den Rahmen, so dass ich es wieder schloss. In diesem Moment vernahm ich Brandis blechernes Lachen auf dem
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