Glück, ich sehe dich anders
hatte sich mal wieder gelohnt. Für uns zählte an erster Stelle, dass Louise gesund wurde und wir vier – eine kleine chaotische Familie einigermaßen gut leben konnten. Und dafür taten wir alles nur Erdenkliche.
FLOHPOCKEN
F ünf Monate nach Beginn der Intensiv-Chemo hatten wir viel bewältigt. Wir waren glücklich, dass der erste Chemoblock endlich überstanden war, auch, weil sich die Situation auf der Behelfsstation in der Kinderkrebsklinik nicht verbessert hatte.
Seit der Diagnosestellung und der beginnenden Chemotherapie hatte man uns gesagt, dass wir während der gesamten zwei Jahre Therapie möglichst isoliert leben müssten. Aber erst nach und nach wurde uns bewusst, was das bedeutete. Louise durfte nicht in den Kindergarten, nicht zur Krankengymnastik, nicht in geschlossene Räume, in denen sich viele Menschen befanden, nicht Bus oder Bahn fahren, nicht in Supermärkte, nicht ins Schwimmbad. Überall dort lauerte die Gefahr, dass sich Louise einen Infekt oder Schlimmeres einfing, den ihr Immunsystem nicht abwehren konnte.
Und auch mit Loreen müssten wir vorsichtig sein, denn auch sie durfte sich möglichst nicht anstecken, weil sie damit zur Gefahr für ihre Schwester geworden wäre. Wir meldeten die Frühförderung für Loreen zunächst ab und begannen erst wieder damit, als Louise so gute Abwehrkräfte hatte, dass eine Infektion – ein Schnupfen oder Husten – ihr nicht schaden konnte. Auf die Krankengymnastik für Loreen wollten wir nicht verzichten und wählten daher einen Termin am Wochenanfang, zu dem die Therapeutin zu uns ins Haus kam und noch keinen Kontakt zu anderen Patienten gehabt hatte.
Eines Morgens, als ich Loreen aus ihrem Bett hob und sie auszog, bekam ich einen großen Schreck. Am Arm, am Hals und auf der Brust hatte Loreen kleine rote Pocken mit einem erhabenen weißlich gelben Herd. Die Pocken waren eigenartig aneinander gereiht. Windpocken! Das war mein erster Gedanke. Panikartig schloss ich die Fenster und Türen und brachte Louise in Sicherheit.
Das hatte uns gerade noch gefehlt. Alle hatten uns zuvor gewarnt, nur keine Windpocken. Diese Krankheit sollte für Leukämiepatienten und immunschwache Kindern sehr gefährlich sein. Rolf fuhr sofort mit Louise zur Untersuchung in die Klinik. Ausgerechnet jetzt hatte unser Kinderarzt Urlaub. Ich zog Loreen an und fuhr mit ihr zur Kinderärztin, die seine Vertretung machte. Eine erste Begutachtung ergab, dass es wohl tatsächlich Windpocken waren, aber höchstwahrscheinlich erst der erste oder zweite Tag. Wir sollten Loreen und Louise trennen und abwarten, ob sich die Pocken bei Loreen vermehrten.
Auch Louise wurde gründlich untersucht. Es gab keine Auffälligkeiten, ihre Ärzte waren ebenfalls der Meinung, dass die Kinder vorsorglich lieber zu trennen seien, um eine Ansteckung – wenn sie denn nicht schon passiert war – zu vermeiden.
Loreen sollte, so lange wie nötig, zu Oma Karin. Rolf begleitete sie zunächst, damit sie nicht das Gefühl bekam, immer abgeschoben zu werden … Mein schlechtes Gewissen erleichterte dieses Vorgehen ebenfalls ein wenig. Rolf verbrachte also den restlichen Tag mit Loreen bei seiner Mutter, und ich war mit Louise bei uns. Nachmittags säuberte ich Loreens Zimmer gründlich und zog das Bett ab. Als ich die Decke hochnahm, hüpfte mir ganz frech ein kleiner Floh entgegen. Ich schnappte und entsorgte ihn. Dieser Übeltäter hatte doch tatsächlich Loreen gebissen. Jetzt erklärte sich auch, warum Loreen in den zwei Nächten zuvor plötzlich aufgeschrien, senkrecht im Bett gestanden und weinend »Aua« gerufen hatte. Ich hatte sie auf den Arm genommen, und sie hatte danach gar nicht mehr in ihr Bett zurückgewollt.
Nachdem ich das Bett und die Matratze abgesaugt und alles gewaschen hatte, rief ich die Kinderärztin an und berichtete ihr von meinem Fund. Sie sagte, dass das wohl die Ursache für diese eigenartigen Pocken sei. Jetzt klärte sich auch das trittleiterartige Vorkommen der Pocken, das typisch für Flohbisse ist: aufwärts hüpfen und beißen, hüpfen und beißen, hüpfen … Ich informierte Rolf bei seinen Eltern und gab Entwarnung. Abends lachten wir dann schon über dieses außergewöhnliche Ereignis und darüber, was uns dieser kleine Floh den Tag über an Aufregung beschert hatte.
ZERSTREUUNG
U m der Isolierung zu entgehen, wagten wir im Sommer einige kleine Tagesausflüge. Wir hatten keine Lust mehr, bei hochsommerlichen Temperaturen im Haus zu hocken.
Wir unternahmen
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