Glück, ich sehe dich anders
beispielsweise einen Ausflug an die Nordsee und fuhren mit einem Fischkutter auf das Meer hinaus. Wir durften unseren Kinderwagen im Gang des Bootes abstellen und suchten uns mit den Kindern ein schattiges Plätzchen an der Luft. Es störte sich hier niemand an uns, und die Mädchen fanden den Ausflug herrlich. Loreen hatte Spaß an dem schäumenden Wasser und den Möwen, die wir mit Pommes frites fütterten. Wir erlaubten uns sogar eine kleine Besichtigung des Oberdecks, auf dem viele Urlauber saßen. Es waren überwiegend ältere Personen. Louise hatte ihre Pommes frites in der Hand und bot jedem freundlich davon an. Sie verzauberte jeden Einzelnen mit ihrem Charme. Sie sah sogar mit ihrer Glatze drollig aus. Aus einem Lautsprecher tönten ein paar Schlager, und Loreen wippte im Takt hin und her. Es war wunderbar, nur für ein paar Stunden dem Alltag zu entfliehen.
Als wir nicht mehr tage- oder wochenlang wegen irgendwelcher Nebenwirkungen mit Louise in die Klinik mussten, meldeten wir sie und Loreen erneut zur Frühförderung an, die Kindern in der Regel bis zum dritten Lebensjahr zustand. Da Louise jedoch bis zum fünften Lebensjahr aufgrund ihrer Erkrankung und der damit verbundenen Infektionsgefahr durch gefährliche Krankheiten den Kindergarten nicht besuchen durfte, wurde ihr die Frühförderung bis dahin bewilligt. Einmal pro Woche kam die Frühförderin nachmittags für beide Kinder zu uns nach Hause.
Den Kindergarten ersetzte die Förderung für Louise natürlich nicht. Aber zusammen mit der Frühförderin versuchten wir, unseren Kindern eine angenehme abwechslungsreiche Zeit zu gestalten. Wir fuhren gelegentlich zu Louises altem Kindergarten, der nachmittags leer und gereinigt war. Dort konnten sich die Mädchen dann richtig austoben.
Ich stellte mir einen Wochenplan auf und teilte die Termine für beide Kinder unter der Woche so auf, dass sie erträglich wurden. Ich passte auf, dass nicht zu viele Termine auf einen Tag fielen, denn dann waren die Kinder und ich einfach überfordert.
Ich delegierte an einigen Tagen in der Woche Aufgaben an meine Schwiegereltern, meine Eltern, unsere Geschwister und unsere Kinderpflegerin. Und es tat gut, wenn meine Schwiegermutter mit Loreen die Krankengymnastik einige Male übernahm, mit ihr in die Stadt fuhr, um neue Schuhe oder eine neue Hose zu besorgen, oder einfach mit ihr spazieren ging. Meine Schwiegermutter erledigte dies meistens mit dem Bus, da sie selbst keinen Führerschein besaß. Loreen fand die Fahrten mit Oma aufregend. Und obendrein musste meine Schwiegermutter die Busfahrt nicht bezahlen, da wir im Behindertenausweis das Merkzeichen »B« (für Begleitung erforderlich) eingetragen hatten. Im Sommer fuhr Oma Karin oft mit Loreen Fahrrad, besuchte das Freibad und spielte ausgiebig mit ihr. Montags kam eine Gruppe von Frauen zu meiner Schwiegermutter, um gemeinsam zu handarbeiten, sie sangen dabei und unterhielten sich. Loreen amüsierte sich dabei köstlich. Sie schaute den Frauen begeistert zu, machte ziemlich viel Unordnung und genoss, dass sie im Mittelpunkt stand.
Oma Karin verstand es, Loreen mit ihrer angenehmen Stimme zu beruhigen, wenn diese wieder einmal allzu aufgedreht war. Oma Karin sang ihr dann leise Lieder vor oder erzählte ihr Geschichten; ich erlebte sie nie hektisch oder überfordert. Sie war die geborene Hausfrau, Mutter und Oma. Einkaufen, Saubermachen, Frühstück zubereiten, nebenbei noch einen Rinderbraten für das Mittagessen im Ofen schmoren und zig Kilo Bohnen aus dem eigenen Garten verlesen und schneiden war noch lange nicht alles, was zu ihrem Können gehörte. Loreen werkelte mittendrin, oder sie besuchte ihren Opa Rolf im Garten oder im Gewächshaus. Dort hörte sie ihm zu, wie er zu seiner Schunkelmusik im Radio pfiff oder sang. Sie half Opa auch gern beim Blumengießen. Und irgendwann rief Oma Karin dann: »Mittagessen ist fertig, ihr beiden!« Nachdem sich dann alle den Braten mit Gemüse und Kartoffeln hatten schmecken lassen, tätigte Oma den Abwasch, nähte Gardinen oder stickte. Loreen faszinierte das Geratter der Nähmaschine und die Handbewegungen beim Sticken. Dann gingen Oma und Loreen spazieren oder besuchten Erika und Bruno und deren Enkelkinder Bea und Lou schräg gegenüber in der Nachbarschaft. Loreen fühlte sich bei Rolfs Eltern immer wohl und wurde sogar zweisprachig erzogen: hochdeutsch und plattdeutsch.
Auch meine Schwester unterstützte uns und holte Loreen an einigen Wochenenden zu sich, fuhr mit
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