Glück, ich sehe dich anders
behütete Zuhause. Das alles habt ihr früher nicht gehabt.«
Unsere beiden Mädchen hatten meine Eltern ebenfalls fest in ihre Herzen geschlossen.
Mit Hilfe der therapeutischen Gespräche ging es mir zusehends besser. Ich ordnete mein Leben neu, richtete mir gedanklich Schubladen ein, in denen ich meine Lebensabschnitte einordnete, so konnte ich einzelne Schubladen auch mal zumachen. Meine Psychologin verglich mich mit einer Lotusblüte, die aus dem Schlamm hervorkam. Ich hatte es geschafft, dem Sumpf zu entfliehen, und lernte fleißig, mich auf das Wesentliche in meinem Leben zu konzentrieren.
Ich musste abschalten, durfte mir nicht zu viel Ballast aufladen. Wenn ich zurückblickte und mir vorstellte, dass ich mich früher über Dinge aufgeregt hatte, wie zum Beispiel Parkplatzmangel auf dem Klinikgelände, eine lange Menschenschlange vor der Supermarktkasse oder verfaultes Obst beim Gemüsehändler, so nahm ich diese Probleme nun gelassener hin, und es war ein Moment der Muße für mich, in einer langen Menschenschlange vor der Supermarktkasse oder der Wurst- und Fleischtheke zu stehen und mir die Menschen, ihr Verhalten und ihre Reaktionen anzusehen. Es war eine herrliche Abwechslung, die Bäckereiverkäuferin über das »doofe Wetter heute wieder« sprechen zu hören oder beim Friseur den Tratschgeschichten der anderen Kunden zu lauschen, die über die Nachbarschaft oder ihre Freunde herzogen oder sich über die neuesten Ereignisse in der Weltgeschichte unterhielten. Ich genoss einfach nur die Haarwäsche und ließ mich verwöhnen. Dabei hatte ich die Möglichkeit, über mein Leben nachzudenken. Meine Wertvorstellungen hatten sich verschoben. Ich fand das Leben von den Menschen interessant, denen es ähnlich ging wie uns. Es gab genug Spießer auf dieser Welt, zu denen ich sicherlich lange Zeit auch gezählt hatte. Das war nun vorbei.
WEHWEHCHEN
A uch an Rolf waren die Monate voller Stress nicht spurlos vorübergegangen. Er hatte immer mal wieder starke Migräneattacken, Rückenbeschwerden und war anfällig für Mund- und Rachenraumerkrankungen, die sich über Wochen hinzogen. Seine Mundschleimhaut war dann übersät mit weißen Bläschen, und er konnte selbst flüssige Nahrung nur unter starken Schmerzen zu sich nehmen. Da diese Erkrankungen ansteckend waren, musste Rolf sich von uns fern halten und konnte mich dann auch nicht bei der Pflege der Kinder unterstützen. Manchmal quartierte er sich für einige Tage im Haus seiner Eltern ein, da eine Ansteckung für Louise lebensgefährlich gewesen wäre.
Als Rolf wieder einmal erkrankt war, hatten wir kurz zuvor -aufgrund unserer Beschwerden bei den zuständigen Behörden – endlich eine Haushaltshilfe erhalten. Die Krankenkasse zahlte einen Zuschuss für sechs Stunden pro Tag. So hatte ich zum Glück Hilfe bei der Hausarbeit und der Betreuung der Kinder. Oma Karin und Opa Rolf waren während dieser Zeit in den Urlaub gefahren. Louise, die Medikamente mit starken Nebenwirkungen erhalten hatte, war ungewöhnlich aggressiv und bockig, hatte häufig Wutausbrüche, die sogar dazu führten, dass sie Loreen mit dem Trommelstock auf den Kopf haute oder mir ins Gesicht schlug. Ich konnte daher unmöglich allein die Aufsicht beider Kinder übernehmen.
Unser Tagesablauf musste während dieser Zeit gut organisiert sein. Die Haushaltshilfe machte sauber, kochte Essen für die Kinder und fuhr mit Loreen spazieren oder spielte mit einem der Mädchen. Sie war manchmal zwölf Stunden am Tag bei uns. Zusätzlich musste Louise während dieser Zeit täglich in die Klinik zum Spritzen oder zur Blutkontrolle. Ihre Blutwerte hatten sich nach der letzten Chemotherapie noch einmal stark verschlechtert und wurden deshalb täglich kontrolliert. Es kam auch vor, dass sie eine Bluttransfusion erhielt.
Trotz aller Unwägbarkeiten kamen wir in dieser Zeit gut zurecht. Rolf und ich, die Großeltern, wenn sie Zeit hatten, und die Haushaltshilfe waren ein eingespieltes Team.
Louise musste nach der Intensiv-Chemo noch für ein ganzes Jahr in eine so genannte Dauertherapie, die aus täglicher Tabletteneinnahme bestand, damit sich keine neuen Leukämiezellen im Blut bildeten. Sie wurde ebenfalls zur Vorsorge weiterhin in immer größer werdenden Abständen mit Spritzen behandelt, um Leukämiezellen im Gehirnwasser vorzubeugen. Einmal wöchentlich musste sie sich Blutkontrollen unterziehen. Glücklicherweise konnte auch unser Kinderarzt vor Ort die Blutkontrollen vornehmen, jedoch nicht wie
Weitere Kostenlose Bücher