Glück, ich sehe dich anders
Ich erzählte ihr, dass ich ständig schnell genervt war, auch wegen Belanglosem, dass für mich immer alles furchtbar und ungerecht sei. Es führte so weit, dass ich mich unter vielen Menschen nicht mehr wohl fühlte. Ich konnte es nicht ertragen, wenn viele Leute durcheinander redeten oder wenn der Fernseher lief und die Kinder laut spielten. Wir suchten gemeinsam nach einer Lösung, damit ich besser mit der belastenden Familiensituation und meiner Gefühlswelt zurechtkam.
KINDHEIT
D ie Psychologin fragte nach meiner Kindheit. Sie vermutete, ich würde alles so perfekt machen wollen, weil ich mich als Kind immer nur als unvollkommen erfahren hatte. Ich sollte ihr von schönen Erlebnissen aus meiner Kinderzeit berichten. Das konnte ich nicht. Ich hatte mich früher häufig ins Abseits gedrängt gefühlt und so gut wie keine Bestätigung erfahren. Statt mein Selbstbewusstsein zu fördern, gaben mir meine Eltern beinahe nur negative Rückmeldungen.
Mir fiel eine Begebenheit ein, als ich meinen Eltern einmal eine Freude bereiten wollte, weil es kurze Zeit zuvor einen Streit gegeben hatte. Ich war damals sieben oder acht Jahre alt gewesen. Ich hatte Brot backen, es köstlich belegen und es dann Mutter und Vater als Überraschung servieren wollen. Als sie zum Einkaufen fuhren, begann ich, Wasser, Mehl, Salz und einige andere Zutaten zu einem Teig zu verrühren, kippte die Masse auf ein Backblech und strich die Marmelade darauf. Das Ganze ließ ich dann im Backofen brutzeln. Mein Backwerk war natürlich nicht zu genießen. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld, und es stank nach Angebranntem. Dieser Geruch war mir später noch lange in der Nase. Als meine Eltern vom Einkaufen zurückkamen, gab es großen Ärger. Dabei hatte ich in guter Absicht gehandelt.
Ich erinnerte mich auch an eine Fahrt im Auto, als ich noch kleiner war. Wir Kinder sollten neu eingekleidet werden. Wir fuhren – wie so oft – nach Kiel zu einem günstigen Bekleidungsgeschäft. Meine Mutter rauchte während der Fahrt. Von dem Zigarettendunst wurde mir schlecht. Mein Vater war genervt, weil ich mich die ganze Fahrt über beklagte und ständig fragte, wann wir endlich da seien. Als die Hosen und Blusen dann auch noch zu groß oder zu kein waren, jammerten meine Schwester und ich, und die Laune meines Vaters wurde nur noch schlechter – wir fuhren, ohne etwas einzukaufen, zurück nach Hause. Dort angekommen, wollte ich den Ärger mildern und sang laut fröhliche Lieder. Doch die gute Absicht wurde verkannt, ich musste sofort ohne Abendbrot und Waschen ins Bett. Als ich im Bett lag, musste ich sehr nötig auf die Toilette, ich traute mich aber nicht, meine Eltern zu rufen oder das Zimmer zu verlassen, also blieb mir nichts anderes übrig, als in meinen Spielzeugeimer zu machen und ihn danach unter dem Bett zu verstecken. Als meine Mutter ihn Tage später unter dem Bett entdeckte und es meinem Vater berichtete, gab es wieder großen Ärger.
Eines Tages, ich besuchte die Realschule, kam ich mit der Note »Sechs« in einer Mathematikarbeit nach Hause, woraufhin mein Vater mir befahl, alle Poster meines Lieblingsstars von den Wänden zu nehmen und sie in einen Karton zu packen. Als ich es erledigt hatte, nahm er den Karton, stellte ihn mitten auf den Rasen in den Garten und verbrannte alles. Er wollte mich für die schlechte Note bestrafen.
Diese Strafe traf mich sehr. Es waren aber nicht allein die verbrannten Poster, die eine enorme Traurigkeit in mir auslösten. Das Geld für diese Poster hatte ich mir selbst verdient. Mit einer befreundeten Nachbarin war ich einmal pro Woche an einem Nachmittag Zeitschriften austragen gegangen. Wir erhielten jede fünf Mark Lohn von dem Zeitschriftenhändler. Von dem Geld leistete ich mir eine Jugendzeitschrift, in der es Poster zum Herausnehmen gab, die ich sammelte und in meinem Zimmer aufhing. Ich hatte für die Poster gearbeitet, ich war stolz auf meinen Job und die selbst verdienten Bilder. Dass mein Vater die Poster verbrannt hatte, verletzte mich sehr. Er bestrafte mich damit nicht nur für meine schlechte Note, sondern irgendwie auch für meinen Fleiß. Ich hatte das Gefühl, alles, was ich tat, war schlecht.
Einmal nahm mir mein Vater meinen Kassettenrekorder weg. Er war der Auffassung, das musikalische »Gedudel« halte mich vom Lernen ab. Dabei konnte ich mit Musik hervorragend lernen. Ich baute mir mit ihrer Hilfe Eselsbrücken. Zu einer bestimmten Reihenfolge von Liedern merkte ich mir eine
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