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Glück, ich sehe dich anders

Glück, ich sehe dich anders

Titel: Glück, ich sehe dich anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Ahrens
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Zahnbürste und meine Kosmetikutensilien aus meinem Kulturbeutel aus. Ich lebte wie in einem Hotelzimmer aus dem Koffer. Wie ein vorübergehender Gast. Ich wollte für mich selbst nicht den Anschein erwecken, mich im Haus der Eltern niederzulassen.
    Ich baute mir einen großen Freundeskreis auf und versuchte, so wenig wie möglich zu Hause zu sein. Ich wollte meine Eltern nicht stören, und sie sollten mich nicht stören.
    Ich überlegte hin und her, wie es weitergehen konnte. Sollte ich mein Auto verkaufen und dann eine eigene kleine Wohnung mieten? Oder war es besser, das Auto zu behalten, erst einmal im Elternhaus wohnen zu bleiben, so viel Zeit wie möglich bei Freunden zu verbringen und, so oft ich es mir erlauben konnte, zu verreisen? Ich war noch nie in einem anderen Land gewesen. Im Alter von fünfzehn Jahren war ich erstmals mit einer Freundin in Urlaub gefahren. Mit sechzehn besuchte ich das erste Mal ein Kino.
    Ich beschloss, zunächst bei meinen Eltern zu bleiben, meine Freizeit zu genießen und mich ebenfalls »auszutoben«.
    Innerhalb kurzer Zeit holte ich meine »versäumten Jahre« nach – und das auf Kosten meiner Eltern. Mir ging es in dieser Zeit blendend. Ich war sehr egoistisch und wollte gar nicht bemerken, dass meine Eltern in ihrem Leben gestört wurden, weil sie zum Beispiel nachts wach wurden, wenn ich erst spät nach Hause kam. Sie beklagten sich nie, sie ertrugen es einfach.
    Später lernte ich dann Rolf kennen, verkaufte mein Auto, um Geld für eine neue Wohnungseinrichtung zu haben, und freute mich riesig auf unser kleines gemietetes Haus auf dem Land. Mein Grundproblem bestand darin, dass ich die negativen Seiten des Lebens zu oft und zu intensiv in mir hochkommen ließ, sodass die schönen und positiven Erlebnisse und Gedanken davon überdeckt wurden.
    Ich fühlte mich zum Beispiel von Rolfs großer Familie manchmal wie überrollt, statt mich zu freuen dazuzugehören. Bei kleinen Feiern kamen von Rolfs Seite meist über zwanzig Personen – und das waren dann nur die Eltern und Geschwister mit ihren Kindern. Fand ein großes Fest statt, kamen über fünfzig Verwandte von Rolf, von unserer Seite aber höchstens fünf Personen – gleichgültig, ob Geburtstags- oder Hochzeitsfest.
    Das lag vor allem daran, dass die Verwandtschaft meiner Eltern schon lange zerstritten war und mein Vater eher einen kleineren Familienrahmen ohne viel Trubel mochte. Ich hatte meinen Opa und meine Oma väterlicherseits nie richtig kennen gelernt, sie waren früh verstorben. Ich erinnere mich nur schwach daran, dass mein Opa vielleicht einmal pro Jahr zu Besuch kam, uns etwas Geld in die Hand drückte und wieder verschwand. Ich erfuhr, dass mein Vater im Ruhrgebiet einen Bruder hatte und eine Schwester ganz in unserer Nähe. Die hatten auch alle Kinder. Ich kannte sie nicht. Die Mutter meiner Mutter lebte allein. Ihr Mann war im Krieg umgekommen, sie hatte ihre vier Kinder allein großgezogen. Es gab keinen großen Zusammenhalt und kaum Verbindung untereinander. Für uns Kinder war es sehr schade, denn wir hatten viele Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins, aber wir hatten keinen persönlichen Kontakt zu ihnen.
    Auch unter uns Geschwistern sind die Bindungen nicht gleich fest. Zu meiner Schwester halte ich einen regen Kontakt. Mein Bruder ging schon früh seine eigenen Wege.
    Nach vielen intensiven Gesprächen, die ich über Wochen mit meiner Therapeutin führte, lernte ich mich selbst erst richtig kennen. Ich begriff die Auslöser für meine Schwächen und lernte, meine Nerven und Kräfte nicht mehr für Belangloses zu vergeuden. Meine Psychologin machte mit mir eine Reise durch meine Vergangenheit. Sie lobte mich zum Beispiel für das Brotbacken, für das mein Vater mich bestraft hatte. Und ihr Lob tat so gut – jetzt, wo ich das Alter von dreißig überschritten hatte!
    Das Verhältnis zu meinen Eltern veränderte sich. Meine Eltern haben so viel für Louise und Loreen getan, und sie sagten uns nicht nur einmal, dass sie uns diese Schicksale mit zusätzlichen Erkrankungen und Sorgen so gern erspart hätten. Ich spürte, dass sie uns von Herzen gönnten, dass wir in Ruhe leben konnten. Mein Vater war sehr zurückhaltend geworden, lobte und bewunderte uns spürbar für unsere Leistungen. Man merkte ihm ganz besonders an, dass es ihm das Herz zerriss, wenn es uns oder den Kindern schlecht ging. Oft äußerte er Sätze wie diesen: »Was haben eure beiden Kinder es schön. Diese schönen Spielsachen und das

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