Glück, ich sehe dich anders
die Spezialisten der Kinderkrebsklinik, die dafür einmal kurz in den Finger stachen und anhand weniger Blutstropfen ein Blutbild erstellten, sondern durch eine richtige Blutabnahme aus der Vene. Wir fuhren im Wechsel zur Krebsklinik oder gingen zum Kinderarzt. Louise war sehr tapfer. Sie weinte keine einzige Träne, als ihr das Blut aus der Vene entnommen wurde. Sie ging trotz aller Unannehmlichkeiten ohne Murren in das Behandlungszimmer. Und wenn der Arzt das Blut entnommen hatte, sagte sie: »Danke, Doktor!«
Schließlich wurde in der Kinderkrebsklinik der Port wieder entfernt, Louise also noch einmal operiert. Auch diese OP verlief ohne Komplikationen.
Rolf und ich vergaßen unsere eigenen Wehwehchen. Es blieb keine Zeit für Klagen. Mir war mal eben meine Kaiserschnittnaht aufgetrennt worden, da sie sich vernarbt hatte; und Rolf hatte zwischendurch vier Zähne gezogen bekommen.
DIE KINDER ENTWICKELN SICH
Z u Loreens zweitem Geburtstag konnten wir eine kleine Tanzparty veranstalten. Louise befand sich noch in der Dauertherapie, und ihre Abwehr war so gut, dass auch ein paar andere Kinder eingeladen werden durften. Louises Immunsystem hatte sich gut erholt.
Die Nachbarskinder Max und Paul, sie passten vom Alter her zu Loreen und Louise, kamen. Mehr Kinder luden wir nicht ein, da Loreen nicht allzu viel Trubel und laute Geräusche vertrug. Sie hatte auch Angst vor Luftballons.
Kurz vor ihrem Geburtstag hatte Loreen das Laufen gelernt. Zuerst hatte sie im Zeitlupentempo einen Fuß vor den anderen gesetzt. Ganz vorsichtig. Jeden Tag ein paar Schritte mehr. Sie hatte es ganz allein schaffen wollen. Es war für mich wie ein Geschenk, Loreen nun mit Louise tanzen zu sehen. Anfassen oder sich helfen lassen, das mochte sie nicht. Sie entzog einem ihr Händchen und marschierte allein los. Wie ein kleiner Roboter lief sie, fünf Schritte vor, dann ruckartig eine Drehung zur Seite, was nicht selten zum Sturz führte. Sie kannte durch ihre Schaukelei in der Autoliegeschale ja nur die Bewegungen vor und zurück. Sich nach links oder rechts zu wenden war ihr fremd. Außerdem war ihr Gleichgewichtssinn noch nicht genügend ausgereift. Aber nach und nach lernte sie, ihr Gleichgewicht zu halten, und sie drehte sich, ohne umzufallen. Ihre Schritte wurden sicherer und flotter, sodass sie bald so flink laufen konnte, dass wir aufpassen mussten, dass sie uns nicht davonlief.
Probleme machte Loreen weiterhin die Nahrungsaufnahme. Sie konnte auch im Alter von zwei Jahren noch immer keine stückige Kost schlucken. Sie würgte daran und erbrach sie meist wieder. Wir versuchten unzählige Male und mit viel Geduld, sie mit einem Marmeladenbrot zu füttern. Das Brot war in kleine Stückchen geschnitten, die maximal so groß waren wie ein Streichholzkopf. Loreen lutschte, aber sie bekam sie nicht hinuntergeschluckt. Sie konnte auch nicht abbeißen, geschweige denn kauen. Es war ihr wohl unangenehm im Mund. Unsere Krankengymnastin machte mit Loreen viele Übungen für den Mundraum, die wir auch zu Hause durchführten. So gut sie es sich gefallen ließ, strichen wir ihr zum Beispiel mit ihrer Zahnbürste den Mund aus oder rieben mit Wattestäbchen an ihrem Zahnfleisch. Wir ließen sie viele Dinge in den Mund stecken, damit sie ein Gefühl dafür bekam: Lutscher, Knäckebrot oder Lakritzschnecken. Sie kaute darauf herum, spuckte es aber immer wieder aus. Wir übten dennoch fleißig weiter, und der Erfolg bleib endlich nicht länger aus: Loreen aß eines Mittags ihre ersten weich gekochten Reiskörner mit viel Soße! Sie würgte dabei noch, und ihr stiegen die Tränen in die Augen, aber auch das war irgendwann überwunden. Wir gaben ihr kleine Kartoffelstückchen, die wir nach einiger Zeit immer größer schnitten. Irgendwann schaffte sie es zum ersten Mal, einen Teelöffel voll Kartoffelstückchen hinunterzuschlucken. Wir waren stolz auf sie und glücklich.
Loreen brauchte viel Zeit beim Essen. Sie behielt alles lange im Mund, bevor sie es hinunterschluckte. Sie war auch sehr wählerisch. Süße Mahlzeiten mochte sie anfangs überhaupt nicht. Bekam sie beispielsweise einen Löffel Apfelmus, spuckte sie ihn in hohem Bogen wieder aus. Das sah sehr unappetitlich aus. Überhaupt waren Loreens Essmanieren sehr schlecht, oder besser gesagt, sie hatte keine. Sie matschte ständig mit den Fingern im Essen herum. Ihre Trinkflasche war immer voll von Fingerabdrücken, der Sauger mit Essensresten verstopft. Es kam vor, dass wir Loreen stündlich
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