Glück, ich sehe dich anders
alles schnell vergessen und sahen die Dauertherapie mit den wöchentlichen Aufenthalten in der Kinderkrebsambulanz als Begleittherapie an, genauso wie auch die Krankengymnastik und die Frühförderung. Wir wollten uns einfach nur vom Winterwetter verwöhnen lassen und uns etwas von der anstrengenden Zeit ausruhen, und dazu nutzten wir die Kur auch.
Da viele Kinder und Erwachsene, die sich in der Kureinrichtung befanden, erkältet waren, machten Infekte die Runde. Ein Schnupfen oder Husten bei zwei oder drei Kindern wäre ja nicht weiter schlimm gewesen, aber hier keuchte und hustete jedes Kind. Jedem lief die Nase. Dann erkrankten auch noch mehrere kleine und große Gäste an einer Magen- und Darmgrippe, und die trockene Luft in den Räumen reizte unsere Atmungsorgane. Louise hatte bald starke Hustenanfälle. Das Inhaliergerät, welches für Loreen viel zu laut war, lief stundenlang. Draußen war eisige Kälte, und beide Mädchen fingen sich eine Mittelohrentzündung und eine Bronchitis ein. Mich ärgerte das sehr, denn zu Hause hatte ich so wachsam darauf geachtet, dass kein unmittelbarer Kontakt zwischen uns und erkrankten Personen stattfand. In der Kinderkrebs-klinik hatte man uns immer wieder ermahnt, hustende Menschen zu meiden und Louise aufgrund des sehr geschwächten Immunsystems von Grippekranken fern zu halten. Durch ihre Behinderung war Louise sowieso schon anfälliger für Infekte als andere. Während der ganzen Kurzeit hatte sie Schnupfen, hustete und schleimte nachts so sehr, dass sie nicht genügend Luft bekam.
Wir hatten das Glück, dass Louises Patenonkel gerade im hohen Norden weilte und statt, wie geplant, mit dem Zug nun mit unserem Auto zurück Richtung Karlsruhe fuhr und uns unseren Wagen vorbeibrachte. Jetzt konnten wir wenigstens an den Wochenenden diesem »Bazillenladen« entfliehen. Wir tankten bei Ausflügen frische Luft. Ein besonderes Erlebnis war das Weltcup-Skispringen in Neustadt am Titisee, das von meinem Lieblingsmoderator Günther Jauch moderiert wurde. Skispringen interessierte mich zwar eigentlich nicht so sehr - mein Herz schlug mehr für die holländische Fußballnationalmannschaft mit meinem Lieblingstorwart Edwin van der Sar -, aber es war dennoch ein unvergessliches Erlebnis, die Skiathleten Sven Hannawald und Martin Schmitt einmal live zu sehen. Wir unternahmen Ausflüge zu einem traumhaften Weihnachtsmarkt ins nahe gelegene Frankreich und nach Konstanz an den Bodensee. Diese Erlebnisse und die Erholung während der vier Wochen ließen die negativen Eindrücke in den Hintergrund rücken.
Wir hatten eine türkische, eine afghanische und eine italienische Familie kennen gelernt, von denen wir uns gar nicht mehr trennen wollten. Der Abschied von diesen lieb gewonnenen Menschen am Ende der Kur fiel uns schwer. Wir hielten mit den Familien anschließend engen Kontakt und beschlossen, irgendwann einmal zusammen eine weitere Kur anzutreten. Wir fühlten uns zu diesen Menschen hingezogen. Ich hatte – wie auch bei einigen Familien während der Leukämietherapie auf der Kinderkrebsstation – das Gefühl, diesen Menschen schon lange sehr nahe zu stehen, obwohl ich sie gar nicht kannte. Sie waren mir auf Anhieb ungemein sympathisch. Wahrscheinlich lag es daran, dass wir ähnliche Schicksale zu bewältigen hatten. Das verband uns miteinander.
Schließlich traten wir die Rückfahrt mit unserem Auto an. Die Koffer ließen wir uns nachschicken. Es war verblüffend, wie artig Louise und Loreen die Fahrt durchhielten. Fünf Stunden fuhren wir ohne Pause und von Rolf-Zuckowski-Kassetten begleitet Richtung Zuhause. Wir stärkten uns in einem Fast-Food-Restaurant, bei deren anderen Filialen Louise bereits Stammkundin war. Es gab – wie immer – reichlich Pommes mit viel Ketchup. Die restlichen vier Autostunden schliefen die beiden Mädchen. Einige Kilometer vor unserem Heimatort wachte Loreen auf und weinte etwas, weil es angefangen hatte zu regnen und sie das Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben nicht hören mochte. Wir versuchten sie zu trösten.
Rolf und ich waren begeistert, dass die beiden so gut durchgehalten hatten. Es war schön, wieder zu Hause zu sein. Unsere Haushaltshilfe hatte alles sauber gemacht, meine Schwester hatte das Haus geheizt und die Zimmer weihnachtlich geschmückt. Da wir keinen Koffer auszupacken und noch keine Wäscheberge zu erledigen hatten, machten wir es uns gemütlich und ließen uns am Abend Pizza liefern.
Am nächsten Tag besuchten wir meine
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