Glück, ich sehe dich anders
Kinder gewöhnlich ab. Louise schaffte es und öffnete mir die Tür. Sie fiel mir in die Arme. Ich lobte sie natürlich für das Türöffnen, aber erklärte ihr auch, dass sie mich nicht noch einmal im Badezimmer einschließen dürfe. Mit ihren knapp vier Jahren erhoffte ich mir ein klein wenig Verständnis. Aber sie kicherte nur amüsiert. Den ganzen Tag brabbelte sie immer so vor sich hin und erzählte dann auch Rolf am Abend: »Mama, nein, obe, zu, zu, obe, da, nein, nein, oh, nein, Haus, aua!«
Später lachten wir über solche Geschichten, aber wenn solch ein Zwischenfall geschah, war mir nicht zum Lachen zumute. Die Kinder hatten so viel Blödsinn im Sinn, den andere gesunde Kinder im gleichen Alter nicht mehr machten. Die Pflege meiner Mädchen war dadurch sehr zeitaufwändig. Louise zog sich ständig die Hosen und die Windel aus und machte auch schon mal auf den Teppich oder auf das Sofa, wenn man sie für ein paar Minuten aus den Augen ließ. Es war so anstrengend, jeden Tag aufs Neue, ich war sehr unzufrieden. Mir war, als würde die Zeit stillstehen, die Tage schleppten sich so dahin, nichts veränderte sich, nur die Arbeit mit den Kindern fiel mir immer schwerer, und je größer sie wurden, umso mehr forderten sie an Zuwendung und Aufmerksamkeit. Ich bemühte mich um einen Zivildienstleistenden für die tagtägliche Betreuung unserer Kinder, aber meine Anfrage scheiterte. Ständig sprach ich bei den Behörden vor, um tatkräftige Hilfe zu erhalten. Da für jedes Problem ein anderes Amt zuständig war, wurden wir oft von der einen zur nächsten Stelle geschickt, um dort nach Unterstützung zu fragen, meist jedoch ohne Erfolg. Ich empfand diese Gänge als Bettelgänge, und in mir sträubte sich alles. Ich fühlte mich wie ein Pferd, das vor etwas hochschreckte, die Vorderbeine in die Luft warf und laut wieherte. Ich sträubte mich, ich wollte einfach nicht mehr. Ich hatte es so satt, von Behörde zu Behörde zu rennen, ich brauchte sofort jemanden, der meine Kinder betreute – und das jeden Tag. Und ich wollte eine Person, die mit Louise die wöchentlichen Blutkontrollen erledigte und mit Loreen die Krankengymnastik und die Frühförderung. Aber nicht einmal der Antrag auf Verdoppelung der Fördereinheiten im Haus wurde bewilligt. Damit hätte ich wenigstens für vier Stunden eine Hilfe im Haus gehabt, die mich entlasten und die Kinder hätte fördern können, denn die Haushaltshilfe wurde von der Krankenkasse nicht länger bezuschusst, und allein konnten wir sie leider nicht bezahlen. Oma Karin und Opa Rolf konnten aber auch nicht immer einspringen.
Bei einer Behörde machte man mir den Vorschlag, doch für fünf Euro pro Stunde jemanden ins Haus zu holen, der auf die Kinder aufpasst. Da würde sich doch sicherlich jemand finden. Was glaubten die eigentlich? Wer stellt sich für fünf Euro pro Stunde hin und erledigt solch zermürbende Arbeit, wie ich sie leistete? Außerdem beleidigten sie damit meine Arbeit und meine Ausdauer und Kraft. Die Betreuung der Kinder wollte ich selbst nicht mit fünf Euro pro Stunde bezahlt haben, denn die Arbeit war unbezahlbar. Ich beantragte ständig Gelder und Zuschüsse bei den Krankenkassen, beim Sozialamt, beim Gesundheitsamt und beim Ministerium, erhielt aber nur den Tropfen auf den heißen Stein, der uns selbst nicht die große Hilfe bescherte. Ich war verzweifelt. Wie lange würde ich das alles noch aushalten?
AUFGEBEN
I ch war in mich gekehrt, dem Aufgeben nahe. Am liebsten wäre ich abgehauen. Aber wohin sollte ich abhauen? Und was bedeutete aufgeben? Wollte ich die Kinder in ein Heim geben? Nein, das kam nicht in Frage. Wir hatten doch so viel Schönes miteinander erlebt. Rolf, ich und meine Kinder gehörten zusammen.
Aber warum war mir im Moment nur alles zu viel? Wir mussten doch nur warten, bis die Kinder halbtags von jemandem betreut wurden. Dann würde alles besser. Wir mussten so lange stark bleiben.
Am Muttertag war meine Stimmung auf dem Tiefpunkt. Ich fühlte mich schrecklich. Gesunde Kinder in dem Alter von Louise hatten ihrer Mami sicherlich ein Geschenk bereitet. Ich bekam keines, Louise verstand nicht, was Muttertag bedeutete. Angst stieg in mir auf, und ich dachte an die Zukunft. Werde ich jemals mit meinen beiden Kindern ein vernünftiges Gespräch führen können? Oder werde ich mich in meinem ganzen Leben mit meinen beiden Mädchen nur auf einem Kindergartenkinder- oder Grundschülerniveau unterhalten? Plötzlich kam wieder diese Sehnsucht
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